"Viel mehr als ein symbolischer Erfolg"

Andreas Zumach im Pro Peace-Interview

Wir sprachen mit dem langjährigen UN-Korrespondenten und meinungsstarken Analysten internationaler Politik, Andreas Zumach, über bedeutende Erfolge und neue Herausforderungen für die Friedensbewegung.
Andreas Zumach
© Flickr Andreas Zumach (Journalist), CC BY-SA 2.0, httpscommons.wikimedia.orgwindex.phpcurid=12466998

Sie waren 1981 einer der maßgeblichen Organisatoren der großen Bonner Friedensdemonstrationen unter dem Motto Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen. Fast 40 Jahre später, am 22. Januar dieses Jahres, trat der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen in Kraft. Fühlt sich das an wie ein später Sieg der Friedensbewegung?

Der UNO-Atomwaffenverbotsvertrag ist der größte Erfolg der Friedensbewegung, nicht nur der letzten 40 Jahre seit der Bonner Hofgartendemonstration am 10. Oktober 1981, sondern der letzten 75 Jahre seit den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Millionen Menschen in aller Welt haben durch Demonstrationen, gewaltfreie Aktionen und alle mögliche Formen des Protestes und Widerstandes für die Ächtung dieser atomaren Massenmordinstrumente gekämpft, und das ist nun der erste große Erfolg.

1981 und 1982 demonstrierten Hunderttausende in Bonn gegen die atomare Aufrüstung.

Wie groß ist dieser Erfolg?

Er ist umso höher einzuschätzen, da die Widerstände massiv waren. Die NATO-Staaten, neben den USA vor allem auch Deutschland, haben alles versucht, um Verhandlungen in der UNO-Generalversammlung über ein Abkommen zu verhindern. Dann haben sie die Verhandlungen boykottiert und alles versucht, um ihren erfolgreichen Abschluss zu verhindern. Als sie im Juli 2017 dann doch mit einem Abkommen endeten, haben die NATO-Staaten, auch die deutsche Bundesregierung, versucht zu verhindern, dass die 50 notwendigen Ratifikationen zustande kommen.

Wie hat die deutsche Regierung ihre Ablehnung denn begründet?

Das Hauptargument der Bundesregierung und der NATO-Staaten war und ist nach wie vor, dass dieses UNO-Verbotsabkommen das bestehende Verbot zur Verbreitung von Atomwaffen schwächen  würde. Das ist natürlich, mit Verlaub, absoluter Quatsch. Andere behaupten, der Erfolg sei insofern nur symbolisch, weil die anerkannten ebenso wie die de facto Atomwaffenmächte nicht dabei sind.

Was ist dran an dieser Argumentation?

Wenn dieses Verbotsabkommen tatsächlich nur so Symbolcharakter hätte, warum dann eigentlich dieser erbitterte Widerstand in den letzten fünf Jahren? Nahezu alle anderen multilateralen Abkommen zur Rüstungskontrolle sind auf Initiative kleinerer Staaten, die selber gar nicht diese Waffen oder Munition hatten, zustande gekommen. Die Initiative ging jeweils von Nichtbesitzerstaaten, zunehmend auch von Nichtregierungsorganisationen, aus. Das gilt für die Antipersonenminenkonvention, die Streubombenkonvention und das gilt auch für dieses UNO-Abkommen, das ohne ICAN, die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, und die dahinterstehenden tausenden von Initiativen nicht denkbar wäre. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Abkommen eine politische und moralische Druckwirkung ausüben wird.

Es ist also definitiv ein bedeutender und nachhaltiger Erfolg.

Ja, und man muss diese Erfolge feiern, weil man sich auch an die Geschichte erinnern muss. Viele Millionen Menschen haben einen Großteil Kraft und Lebenszeit in diesen Kampf gesteckt, nicht zuletzt auch die Überlebenden und Nachkommen von Umgebrachten in Hiroshima und Nagasaki.

Andreas Zumach bei der Verleihung des Friedenspreises Sievershäuser Ermutigung 2014 an Pro Peace.

Kommen wir zu den Anfängen eines im Vergleich sicher kleineren Erfolgs. Die Idee für einen Zivilen Friedensdienst kam Anfang der 90er-Jahre auf. Was waren die prägenden Ereignisse dieser Jahre, die auch die Diskussionen um einen Zivilen Friedensdienst beeinflusst haben?

Wir hatten schon während der Zeit des Kalten Krieges außerhalb Europas durchaus „heiße Kriege“, und zwar brutale und grausame. Aber wir hatten seit dem Zweiten Weltkrieg eben keinen solchen Krieg in Europa bis im Sommer 1991 die Kämpfe im benachbarten Jugoslawien begannen. Die Menschenrechtsverletzungen haben auf Seiten der etablierten Politik dazu geführt, militärische, sogenannte humanitäre Interventionen zu rechtfertigen.

Vor diesem Hintergrund gab es in der Friedensbewegung und in der kritischen Friedensforschung viele Ideen und Aktivitäten, wie man sich in diesem Konflikt nicht nur helfend, also durch humanitäre Unterstützung, beteiligt, sondern in erster Linie die friedensbereiten Zivilkräfte in den ex-jugoslawischen Republiken unterstützt, die – so die Hoffnung –  eine Deeskalation bewirken und zu einer Beendigung der Kriege beitragen könnten. Diese Hoffnung ist leider nicht aufgegangen. Die Kriege wurden erst nach vielen Jahren beendet aufgrund beidseitiger Erschöpfung und durch die Diplomatie der Großmächte, also das Dayton-Abkommen und natürlich auch durch militärische Einsätze gegen die serbische Seite.

Wir hatten sicher zu schwache Kräfte, aber es ist eines der ersten Beispiele, wo sich Teile der Friedensbewegung so praktisch engagiert haben. Nicht nur durch Meinungsbekundungen, also Demonstrationen, sondern auch durch praktische Hilfe, Solidarität und Unterstützung für die zivilen Kräfte in den Kriegsgebieten.

Der Vorschlag für einen Zivilen Friedensdienst stieß auch in Teilen der Friedensbewegung auf Kritik: „Ihr nehmt Geld vom Staat und gebt damit eure zivilgesellschaftliche Unabhängigkeit auf“, lautete eines der Argumente.

Wo soll das Geld sonst herkommen? Ich finde es völlig legitim, dass man für so eine Initiative auch staatliche Gelder einfordert und sich nicht nur darauf verlässt, dass man genug Spenden aus der Zivilgesellschaft erhält. Und ob man durch die staatlichen Gelder in eine problematische Abhängigkeit gerät, muss man jedes Mal neu austarieren.

Eine andere Kritik war, der ZFD sei nicht mehr als ein Feigenblatt.

Für viele etablierte Politiker hatte der ZFD sicher auch eine Alibifunktion. Ich kann mich an die Forderung erinnern, der Staat sollte zivile Kräfte aufstellen in Alternative zum Militär und das in ähnlicher Größenordnung. Was dann aber beschlossen wurde, war mir zu zaghaft.

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Diese Debatten liegen nun rund 25 Jahre zurück. Wie hat sich das Kriegs-und Konfliktgeschehen seither verändert?

Der Konflikt in Jugoslawien war der erste in Europa, der über Jahre einherging mit einer großen Opferzahl, mit Methoden einer ethnischen Säuberung, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa nicht mehr erlebt hatten. Das erklärt das große Erschrecken, aber auch das Engagement vieler Menschen. Für uns in Europa war diese Art innerstaatlicher Konflikte neu, aber in anderen Teilen der Welt gab es das schon. Mit diesem angeblich völlig neuen Konflikttypus wurden in den folgenden Jahren militärische Interventionen gerechtfertigt, auch im ehemaligen Jugoslawien.

Seit dem 11. September 2001 haben wir ein neues Phänomen des islamistisch gerechtfertigten Terrorismus. In den 90er-Jahren sind militärische Interventionen noch mit Menschenrechtsverletzungen begründet worden. Diese Begründung ist nach 2001 weitgehend abgelöst worden mit dem sogenannten Krieg gegen den Terrorismus. Der läuft jetzt seit 20 Jahren ohne ein absehbares Ende.

Aber wir haben natürlich längst schon wieder Stellvertreterkriege, bei denen es um geopolitische Machtinteressen geht. Was in Syrien passiert, ist eine Mischung zwischen internem syrischen Gewaltkonflikt zwischen Regierung und einer säkularen Opposition, die zunehmend aber durch islamistische Gruppierungen überrannt worden ist. Diese werden von äußeren Akteuren wie Saudi-Arabien und der Türkei unterstützt, die Regierung hingegen vom Iran. Und zu dem Konflikt zwischen diesen Regionalmächten kommt der Großmachtkonflikt zwischen den USA und Russland. 

Pro Peace wollte mit dem Zivilen Friedensdienst eine Alternative zu Militärinterventionen entwickeln. Friedenspolitik statt Militäreinsätze ist bis heute ihre zentrale Forderung.

Was bedeutet das für die Friedensarbeit?

Die allermeisten Menschen die ihre Heimat verlassen, weil sie vertrieben werden oder an Hunger leiden, kommen aus Ländern in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten. In dieser Weltregion liegen die meisten Länder, die keine funktionierende Regierung haben oder von Gewaltkonflikten betroffen sind. Zudem finden in dieser Region circa 95 Prozent aller islamistisch gerechtfertigten Terroranschläge statt, die meisten Opfer sind muslimischen Glaubens.

Hier sehe ich die ganz zentrale, friedenspolitische Herausforderung. Bisher sind die Antworten der europäischen Regierungen überwiegend militärische und polizeiliche. Wir schotten die Außengrenzen ab oder wir rüsten die einheimischen Kräfte auf, damit die künftig den Job für uns übernehmen, die Menschen an der Flucht zu hindern. Und zwar nicht nur entlang der Mittelmeer-Südküste, sondern beispielsweise auch schon an der Südküste Libyens hin zum Sahel.

Wie sähe eine alternative politische Antwort aus?

Ich sehe es als eine ganz dringende Aufgabe der Friedensbewegung an, viel stärker als bisher einzufordern, dass wir an die Ursachen der Probleme der Länder zwischen Marokko und Afghanistan heran müssen. Die Herausforderung ist, diese Länder sozialökonomisch so zu stärken und stabilisieren, dass sie eigenständige Volkswirtschaften entwickeln, die zumindest die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung befriedigen. Dann wird auch politische Stabilität, Reformen, und Demokratisierung möglich. Wenn uns das nicht gelingt, sitzen wir hier in 25 Jahren vor denselben großen Probleme und einer noch weiter eskalierten militärischen Bekämpfungsstrategie, die dann genauso scheitern wird, wie sie heute bereits scheitert.

Was ist mit Europas Anteil an diesen Verhältnissen?

Die Menschen in den afrikanischen Ländern erwarten zurecht von uns, dass sich die Politik unserer Länder verändert. Die dortige Zivilgesellschaft beobachtet sehr genau, was für eine EU-Politik wir machen: Handelspartnerschaften, die nichts mit Partnerschaften zu tun haben, Rüstungsexporte und so weiter.

Das Problem ist, dass weite Teile der deutschen Parteienlandschaft und auch Teile der Friedensbewegung nach wie vor ein viel zu positives Selbstbild von uns, Europa, haben. Die Begeisterung, die ausbrach, als die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekam, ist ein Beispiel dafür Es gibt eine viel zu unkritische Haltung gegenüber dem realen Verhalten der EU. Europäische Konzerne benehmen sich im Rest der Welt nicht unbedingt menschenrechtsfreundlicher und umweltfreundlicher als US-amerikanische, japanische oder südkoreanische Konzerne. Die Militarisierungstendenzen der EU werden viel zu wenig wahrgenommen und kritisiert. Ich wünsche mir von der Friedensbewegung natürlich die Forderung einer größeren politischen Unabhängigkeit gegenüber der USA, aber nicht um den Preis der eigenen Aufrüstung.

Bei aller Kritik in der Sache ist es aber doch auch wichtig, konkrete Vorschläge und Fantasie in die Debatte einzubringen und aufzuzeigen, wie wir anders mit den Problemen dieser Welt umgehen können.

Aus der badischen Landeskirche liegt nun erstmals ein Konzept vor, das über eine Zeitspanne von 25 Jahren den Weg hin zu einer Entmilitarisierung unserer Politik beschreibt. Ich glaube, das ist sehr wichtig, da bei aller Kritik an der herrschenden Sicherheitspolitik dann in den Debatten immer wieder Vorstellungskraft fehlt, wie es denn anders aussehen könnte.

Und wo brauchen wir heute mehr praktische Friedensarbeit?

Ich erinnere mich noch gut daran, wie viel Vorarbeit gesellschaftliche Initiativen in den 60er- und 70er-Jahren geleistet haben, die dann irgendwann zur offiziellen Entspannungspolitik wurde. Das ging los mit Initiativen, die sich um Kriegsgräber sowjetischer Soldaten gekümmert haben, und den ersten Menschen, die in die Sowjetunion gereist sind. Was waren das damals für Durchbrüche, als Kontakte hergestellt wurden! Und ein relativ reger Austausch mit der Zivilgesellschaft in Russland. Das ist weitgehend weg und tot. Die ganz normalen Ebenen des Austausches zwischen der Zivilgesellschaft in Deutschland und Russland haben in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren immer weiter abgenommen. Diesen Austausch müsste man sehr viel stärker betreiben, weil die Verfeindung auf der offiziellen Ebene umso leichter ist, wenn es keine positiven Erfahrungen auf der zivilgesellschaftlichen Ebene gibt.

Tausende Aktivist*innen feierten am 22. Januar 2021 das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrages und forderten, dass auch Deutschland dem Abkommen beitritt.

Vor uns liegt die nächste Bundestagswahl. Welche Forderung sollte die Friedensbewegung unbedingt vorbringen?

Ich komme nochmal zum Thema Atomwaffen: Inzwischen fordern 115 Städte in einem Appell an die Bundesregierung, dem Abkommen beizutreten. Das ist gut, reicht aber nicht aus. Städte und Kommunen sollten dem UNO-Verbotsabkommen beitreten, solange die Bundesregierung das nicht tut. Ich fühle mich da ermutigt durch die Zivilgesellschaft in den USA. Nach dem Austritt der Trump-Administration aus dem Pariser Klimaabkommen 2018 haben sich über 600 amerikanische Städte und Landkreise zu dem Abkommen bekannt.

Ich halte es für notwendig, dass die Friedensbewegung eine zweite Kampagne macht mit der klaren Forderung: Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz inklusive des Verzichts auf Mitverfügung über oder Mitbeteiligung an Atomwaffenarsenalen anderer Staaten wie etwa Frankreich. Es muss uns daran gelegen sein, dieses Thema, aber auch andere friedenspolitische Themen, endlich so wichtig zu machen mit Blick auf die Bundestagswahl am 26. September, dass sie für mehr Menschen ausschlaggebend sind, wenn sie ihr Kreuzchen machen.

Das Gespräch führte Christoph Bongard.