„Eine einmalige Lebenserfahrung“

Eindrücke aus der zehnwöchigen Weiterbildung in der Friedens- und Konfliktarbeit

Ob aus Kambodscha, Guatemala oder Kongo – die zehn Teilnehmenden der Vollzeitweiterbildung in der Friedens- und Konfliktarbeit kommen aus der ganzen Welt und bringen unterschiedlichste Erfahrungen mit. Doch eins verbindet sie alle: ihr Engagement für eine friedlichere Welt. In dem zehnwöchigen Kurs an der Akademie für Konflikttransformation konnten sie ihr Wissen vertiefen und voneinander lernen.
Vollzeitkurs 2023; Gruppenbild
© Pro Peace

Es ist Mitte März. Der Himmel in Königswinter ist bewölkt und es ist regnerisch. Das Städtchen liegt knapp neun Kilometer Luftlinie von Bonn entfernt direkt am Rhein. Von außen würde man nicht ahnen, welch spannende Gruppe sich aktuell dort im Arbeitsnehmer-Zentrum aufhält. Jedes Jahr kommen hier ungefähr 10 Teilnehmende aus verschiedenen Ländern für eine zehnwöchige Weiterbildung in der Friedens- und Konfliktarbeit zusammen. In dieser Zeit beschäftigen sie sich intensiv mit Ansätzen der Konfliktanalyse, lernen Methoden und Werkzeuge kennen und setzen sich mit ihrer eigenen Rolle in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit auseinander.

Der Kurs ist vor drei Tagen gestartet. Die Teilnehmenden sind motiviert und voller Erwartungen. Sie freuen sich darauf, von ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven zu lernen. Beim Kaffeetrinken in einer Pause erzählt der Teilnehmende Emmanuel Ametepeh, dass er im Anschluss an den Kurs als Zivile Friedensfachkraft nach Mali gehen wird. Auf diesen Einsatz soll ihn der Kurs vorbereiten. „Wichtig ist es, den spezifischen Kontext der Konfliktregion zu kennen und sensibel mit den Menschen vor Ort und ihren Konflikterfahrungen umzugehen“, rät ihm ein anderer Teilnehmender, der bereits seit über fünf Jahren in der Friedensarbeit tätig ist. Die Kenntnis von Methoden sei enorm wichtig, sie müssten jedoch stets gezielt auf die jeweilige Region angepasst werden, erklärt er. Über solche Hinweise und den Erfahrungsaustausch freut sich Emmanuel Ametepeh sehr.

Die Teilnehmenden stellen sich der Größe nach auf. Dann finden sie sich in Kleingruppen zusammen.

Konfliktverständnis vertiefen

Die Teilnehmenden finden sich gerade für die zweite Lerneinheit des Tages im Kursraum ein. Sie nehmen im Stuhlkreis Platz und warten gespannt, wie es weitergeht. Auf dem Programm steht für heute die Klärung grundlegender Begriffe. Doch als die Kursleiter*innen anfangen zu diskutieren und sich gegenseitig zu beschuldigen, ist es plötzlich ganz still im Raum. Keine*r der beiden scheint etwas für die anstehende Einheit vorbereitet zu haben. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht mehr schaffe, mich darum zu kümmern“, sagt die Kursleiterin Irene vorwurfsvoll. Ihr Kollege Robert streitet das ab. Nach weiteren Schuldzuweisungen stürmt er entrüstet aus der Tür.

Im Raum ist es leise. Niemand traut sich etwas zu sagen. Was ist gerade passiert? Genau das fragt Robert die Teilnehmenden, als er nach wenigen Augenblicken lachend zurückkehrt. So schnell, wie es ernst wurde, ist die Stimmung auch schon wieder gelockert. Es fallen Begriffe wie „Konflikt“ und „Missverständnis“. Die Teilnehmenden stellen fest, dass in dem simulierten Streitgespräch die Kommunikation das eigentliche Problem war:  Die vermeintlichen „Streithähne“ schienen nicht daran interessiert zu sein, das eigentliche Problem zu lösen.

Mit dieser kurzen Schauspieleinlage leiten die Kursleiter*innen zu einem neuen theoretischen Ansatz über. Bei diesem liegt der Fokus vor allem auf den zwischenmenschlichen Beziehungen in einem Konflikt. Die Teilnehmenden lernen dabei, wie wichtig es ist, Konflikte ganz genau und auf verschiedenen Ebenen zu analysieren.

Kursleiterin Irene dela Torre veranschaulicht, wie komplex Konflikte sind.

Obwohl sich die Teilnehmenden gerade einmal vier Tage kennen, wirken sie schon jetzt sehr vertraut. Es wird viel gelacht und einander aufmerksam und interessiert zugehört. Weitergehenden Fragen wird stets Raum gegeben. So entstehen oft kleine Zwischengespräche über Themen, die die Teilnehmenden umtreiben. Das ist vor allem der Krieg in der Ukraine und die Frage, wie Friedensarbeit in solchen Zeiten funktionieren kann. Dazu erzählen die Kursleiter*innen von der aktuellen Arbeit von Pro Peace in der Ukraine. Aber auch die Teilnehmenden berichten von ihrer Arbeit in anderen Regionen der Welt, die oft unter schwierigen Bedingungen stattfindet. Dieser Freiraum für Erfahrungsaustausch wird in dem Kurs bewusst zugelassen, denn so lernen die Teilnehmenden einander besser kennen und finden Antworten auf ihre Fragen.

„Es tut gut zu wissen, dass wir alle ähnlichen Herausforderungen gegenüberstehen“, sagt zum Beispiel Carlos Armando Juárez Ramírez. Von der Projektarbeit in anderen Ländern könne man viel für die eigene Arbeit lernen. Er selbst ist Anwalt und kommt aus Guatemala, wo er sich für Menschenrechte einsetzt.

Schon nach kurzer Zeit sind die Teilnehmenden eng zusammengewachsen.

„Das ist kein endgültiger Abschied – das ist ein Auf Wiedersehen“

Zehn Wochen später: Es ist der vorletzte Tag des Kurses. In den Gesichtern der Teilnehmenden spiegeln sich gemischte Gefühle. Da ist einerseits die Freude auf Zuhause. Auf Familie, Freund*innen und anstehende Projekte. Aber andererseits sind sie auch traurig, ihr „Zuhause“ der letzten zehn Wochen zu verlassen. Und ganz besonders die Menschen, die sie hier kennengelernt haben. Das Miteinander im Kursraum ist harmonischer denn je. Es ist deutlich zu spüren, wie sehr die internationale Gruppe zusammengewachsen ist. Gemeinsam haben sie gelacht, gegrübelt, Ideen entwickelt und einander inspiriert.

Der vorletzte Tag widmet sich daher dem Rückblick auf die vergangenen Wochen. Auf dem Boden liegen dazu drei große Plakate, auf denen der Kursverlauf mit den einzelnen Themenabschnitten abgebildet ist. Mithilfe von Symbolen und Kommentaren können die Teilnehmenden veranschaulichen, wie sie die einzelnen Einheiten wahrgenommen haben. Was waren Highlights? Welche Themen waren besonders herausfordernd? Aus welcher Woche nehmen sie am meisten für ihre Arbeit mit?

 

Eine Weile zeichnen die Teilnehmenden still die jeweiligen Symbole auf die Plakate und schreiben Kommentare. Dabei lassen sie sich viel Zeit und rekapitulieren das Erlebte. Anschließend tauschen sie sich aus. Die Eindrücke sind sehr unterschiedlich. Je nach ihren individuellen Arbeitshintergründen waren verschiedene Seminareinheiten besonders hilfreich. Die Einheiten zu Selbstfürsorge sowie Macht und Identität waren für alle ungemein wichtig. Auch wenn die Auseinandersetzung mit diesen Themen keinesfalls leicht gewesen sei, habe es sie dennoch inspiriert, so eine Teilnehmerin. „Nachdem man diese Themen intensiv bearbeitet hat, sieht man klarer“, stellt ein anderer Teilnehmer fest. Emotional aufwühlend aber lehrreich war die Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialisierung. Dabei wurde den Teilnehmenden bewusst, wie wichtig klare Kommunikation und Sensibilität auch innerhalb der eigenen Gruppe ist.

Um ihre neuen Kenntnisse ein weiteres Mal zu erproben, überlegen sich die Teilnehmenden an diesem vorletzten Kurstag jeweils zu zweit eine Methode, die sie dann in der Gruppe anwenden. Eines der Paare bittet die Teilnehmenden, sich ein Wort oder eine Erinnerung, die sie mit dem Kurs assoziieren, zu überlegen. Es fallen Wörter wie: Inspirierend, bereichernd, glücklich, Begegnungen. Menschenrechtsanwalt Carlos Armando Juárez Ramírez findet: „Der Kurs ist eine einmalige Lebenserfahrung.“ Auch einzelne Anekdoten werden ausgetauscht und bringen die Teilnehmenden zum Lachen. Im Hintergrund läuft leise Musik. Zufrieden schwelgen alle in Erinnerungen. Bei einem sind sie sich sehr sicher: „Das ist kein endgültiger Abschied – das ist ein Auf Wiedersehen.“

Die Akademie für Konflikttransformation

Die Akademie von Pro Peace ist ein Lernort für professionelle, internationale Friedens- und Konfliktarbeit. Seit 1997 bilden wir Fachkräfte in Ziviler Konfliktbearbeitung aus. Unsere Bildungsarbeit basiert auf der Überzeugung, dass gewaltfreie, konstruktive Konfliktbearbeitung lehr- und erlernbar ist. Unsere Absolvent*innen leisten wichtige Beiträge auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die Konflikte gewaltfrei bearbeitet. Sie sind international und in allen Tätigkeitsbereichen der Friedens- und Konfliktarbeit im Einsatz.