Friedensforscher Dan Smith im Gespräch

"Wenn Staaten weiterhin die Bedeutung von Armeen überbetonen, wird ihre Sicherheit schwach sein."

Dan Smith ist Direktor des renommierten Friedensforschungsinstituts SIPRI. Er forscht seit Jahrzehnten zu Konflikten und Frieden und war unter anderem Berater der Vereinten Nationen für Friedensförderung.
Dan Smith SIPRI
© SIPRI

SIPRI ist renommiert für seine Datenanalyse zu Militärausgaben und Waffenhandel. Welche Entwicklungen beobachten Sie in diesen Bereichen? Gibt es Grund zum Optimismus?

Dan Smith: Unsere Datenbank zum internationalen Waffenhandel haben wir erst kürzlich auf den neuesten Stand gebracht. Das Gesamtvolumen des Waffenhandels ist in den letzten fünf Jahren um mehr als 7 % gewachsen, verglichen mit den vorherigen fünf Jahren. Im Vergleich zu 2003-2007 stieg es um 20 %. Das Wachstum ist also konstant, aber langsamer geworden. Saudi-Arabien hat Indien in den letzten fünf Jahren als größten Waffenimporteur überholt. Ägypten liegt auf dem dritten Platz und auch die Vereinten Arabischen Emirate sind unter den Top 10 zu finden. Daher ist es keine Überaschung, dass der Mittlere Osten die Region ist, die für den Waffenimport weltweit am schnellsten wächst. Die USA ist hingegen der mit Abstand größte Waffenexporteur der Welt geblieben und hat seinen Marktanteil sogar noch vergrößert. Dies liegt auch daran, dass Saudi-Arabien und andere Länder im Mittleren und Nahen Osten so viele Waffen importiert haben. Das sind die grundlegen Trends im Waffenhandel und sie sind nicht gerade beruhigend.

Die neuesten Daten, die wir für Militärausgaben haben, sind von 2017. In diesem Jahr erreichten die Rüstungsausgaben das höchste Niveau seit Ende des Kalten Krieges – also das höchste Niveau seit fast 30 Jahren. Und es gibt genügend Pläne, zum Beispiel der europäischen NATO-Staaten und natürlich der USA, um zu vermuten, dass das Ausgabenniveau weiter gestiegen ist, bis wir die Daten für 2018 erhalten. Nur in einer oder zwei Regionen sind Rüstungsausgaben nicht um viel gestiegen - Lateinamerika ist eine davon – aber alles in allem gibt es einen schlechten Trend.

© SIPRI Arms Transfers Database (11.03.2019), www.sipri.com

Seit den 2010ern ist die Anzahl der bewaffneten Konflikte dramatisch gestiegen, aber es scheint als sinke sie etwas. Doch vielleicht müsste man qualitativere Indikatoren für Konflikt anwenden: Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind wegen des Streits über Atomwaffenkontrolle besonders schlecht. Die Beziehungen zwischen den USA und China haben ebenfalls sehr kritische Punkte, besonders wegen des Handelskriegs. Sie versuchen gerade diese Konflikte zu lösen, aber es lässt sich eine gegenseitige Abneigung in ihrer Beziehung beobachten, die vorher so nicht präsent war. So hat das Bulletin of the Atomic Scientists seine “Weltuntergangsuhr” im Januar 2018 auf zwei Minuten vor Mitternacht gestellt und sie im Januar 2019 auch nicht zurückgedreht. Derart nah an der apokalyptischen Mitternacht war die Uhr zuletzt in den späten 1950ern. Alles in allem ist die schlechte Nachricht daher, dass wir uns in einer akut bedrohlichen Situation befinden, aber die gute Nachricht ist, dass es im Jahr 2018 nicht wirklich schlimmer geworden sind. Zudem ist die Verbesserung der Beziehung zwischen den USA und Nordkorea ein seltener Lichtblick. Das war ein echter Fortschritt.

Wie werden sich diese Trends in der nahen Zukunft weiterentwickeln?

Dan Smith: Die Militärausgaben und der Waffenhandel werden wachsen, auch wegen der jüngsten Beschlüssen von NATO und USA. Die Waffenimporte im Mittleren und Nahen Osten werden ebenfalls nicht sinken, daher denke ich, dass beide Trends kontinuierlich steigen werden. Aber es gibt zwei gegensätzliche Trends auf der Weltbühne: Zum einen gibt es die USA, Russland und China, die alle von Regierungen geführt werden, die dazu bereit sind, internationales Recht und internationale Zusammenarbeit zu ignorieren, wenn es für sie individuellen Nutzen verspricht. Zum anderen ist aber – teilweise als Reaktion darauf – eine Stärkung der Idee der internationalen Kooperation und der Relevanz internationaler Institutionen zu beobachten. Die Vereinten Nationen haben aktuell eine starke und wirkungsvolle Führung. Diesen beiden gegensätzlichen Trends werden es miteinander aufnehmen. Was wir uns wünschen ist, dass sich die Regierungen der großen Mächte zu handlungsfähigen internationalen Institutionen bekennen und eine echte Kooperation zwischen diesen ausbauen. Denn so oder so werden wir uns in den nächsten zwei oder drei Jahren an einem Wendepunkt wiederfinden.

Sie haben die USA, Russland und China angesprochen. Welche Rolle sehen Sie für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in der Weltpolitik?

Dan Smith: Auf der EU und den europäischen Mitgliedstaaten der NATO lastet ein hoher Druck, ihre Militärausgaben zu erhöhen. Man kann nachvollziehen, dass das aggressive Verhalten Russlands auf der Krim, in der Ostukraine und gegen Ende des letzten Jahres im Asowschen Meer Bedenken geweckt hat. Man kann nachvollziehen, warum dadurch Furcht in der Öffentlichkeit entsteht und PolitikerInnen daraufhin mit erhöhten Militäraufgaben auf Druck der USA reagieren. Doch die EU ist eine Institution, die auf das Prinzip der Kooperation gebaut ist und jetzt verstehen muss, dass stärkere Zusammenarbeit ein zentraler Baustein für wahre Sicherheit ist. Ich kann nicht absehen, dass Militäre ihre Relevanz als Sicherheitsvorkehrung für Staaten in der nahen Zukunft verlieren. Aber wenn Staaten weiterhin die Bedeutung von Armeen überinterpretieren, dann wird ihre Sicherheit kraftlos sein, da die großen globalen Sicherheitsherausforderungen nur durch Kooperation gelöst werden können.

Im Cyperspace zum Beispiel gibt es große Sicherheitsherausforderungen deren Lösungen dafür teilweise von Regierungen gefunden werden, aber teilweise auch von Hackergruppen oder von wirtschaftlichen Konkurenten, die sich gegenseitig auspionieren. Da unsere Gesellschaft zunehmend abhängig von digitalen Entwicklungen wird, ist unsere Gesellschaft auch zunehmend anfällig für digitale Bedrohungen und diesen kann man im virtuellen Raum einzig durch Kooperation begegnen. Keine Regierung kann das alleine schaffen, egal wie weit entwickelt ihre digitale Infrastruktur ist.

Die andere große Herausforderung bilden die Auswirkungen von Klimawandel und anderer Formen von Umweltzerstörung. Es ist schon jetzt deutlich, dass sich der Klimawandel auf Sicherheitsfragen auswirkt. Dieser Einfluss wird in den nächsten 10 bis 30 Jahren wachsen. Und wenn wir nicht lernen, besser zu kooperieren, dann werden wir die großen Sicherheitsherausforderungen der Zukunft nicht lösen können, geschweige denn die Kernprobleme der Industrialisierung und deren Auswirkung auf den Klimawandel.

Wir wollen, dass Deutschland und die Europäische Union für mehr Multilateralismus einstehen. Wer wären gute Verbündete für diese Sache?

Dan Smith: Zuerst sind das natürlich Staaten wie Japan, Australien oder Kanada. Aber es gibt viele mögliche Partnerländer im globalen Süden, auch solche, die selbst vom Klimawandel bedroht sind und zwar nicht nur die kleinen Inselstaaten. Über 1 Milliarde Menschen leben in Küstenregionen, die nicht einmal 5 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Je mehr das Meeresniveau steigt, umso mehr wird das Wohlergehen dieser Menschen bedroht. Dieser Anstieg des Meeresspiegels ist eine existenzielle Bedrohung für sowohl die kleinen Inselstaaten als auch die Länder mit niedrigen Küstenregionen. Manche Staaten werden diese Probleme relativ gut bewältigen können, aber andere werden sehr viel Unterstützung und Kooperation brauchen, um damit klarzukommen, wie zum Beispiel Indonesien und Nigeria. Es ist eine globale Bedrohung. Aber das Pariser Klimaabkommen und die Einigung auf Nachhaltigkeitsziele waren Zeichen dafür, dass es möglich ist, Regierungen für gemeinsames Handeln zu gewinnen, um globale Herausforderungen anzugehen. Deswegen gibt es keinen Grund dazu, die Hoffnung zu verlieren. Aber Europa behandelt den globalen Süden und seine diplomatischen und politischen VertreterInnen hartnäckig so als würden diese Länder nicht ernst genommen. Anstatt eines “Wir sitzen alle im selben Boot – wie können wir zusammenarbeiten?” wird diesen Ländern eine fast schon koloniale Einstellung entgegengebracht: “Wir sind reicher und wissen es besser und sind hier um euch zu helfen”. Und natürlich antworten dann einige Länder des globalen Südens dann mit: “Na gut, wie viel Geld könnt ihr uns anbieten? Legt erst mal 100 Milliarden auf den Tisch und erst dann reden wir”. Aber wir müssen davon wegkommen, denn Geld ist nicht das einzige Thema hier. Es hat mit Ressourcen zu tun, aber es hat genau so mit Entwicklungsstrategien zu tun und damit wie der Handel und Handelsbeziehungen aufgebaut sind. Es ist viel mehr als Entwicklungshilfe. Und bislang hat noch niemand gute Antworten darauf gefunden, wie man mit diesen Problemen umgehen soll.

Im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ist die Durchschnittstemperatur um 1 Grad gestiegen und wenn wir nicht handeln, ist ein Anstieg um mehr als 3 Grad denkbar. Da ist es nicht damit getan, dass ein deutscher Außenminister oder Kanzler oder ein französischer Präsident eine globale Initiative ins Leben ruft, in deren Rahmen alle nach Berlin oder Paris kommen und man sich drei Tage zusammensetzt. Da brauchen wir einen langfristigen Prozess institutioneller Zusammenarbeit. Es gibt Dinge, die die EU alleine schaffen kann, doch in manchen Bereichen kann die EU nur etwas erreichen, wenn sie mit der Afrikanischen Union und anderen regionalen Organisationen arbeitet. Und manches kann sie nur erreichen, wenn sie durch die UN arbeitet, im Sicherheitsrat, in dem Deutschland aktuell sowohl Mitglied ist als auch die Präsidentschaft innehat, in der Generalversammlung und mit Unterstützung der einzelnen Organisationen der UN. Die Vereinten Nationen sind eine sehr komplexe internationale Institution und niemand hat sie so konstruiert wie sie heutzutage sind, aber ihre Führung ist aktuell sehr wirkungsvoll. Wahrscheinlich konnte man zu meinen Lebzeiten noch nie so gut mit der UN arbeiten wie gerade jetzt.

© SIPRI Arms Transfers Database (11.03.2019), www.sipri.com

Wo nimmt die UN aktuelle besonders vielversprechende Rollen ein?

Dan Smith: In den letzten zwei Jahren hat der Sicherheitsrat begonnen, den Klimawandel als Bedrohung für Sicherheit Ernst zu nehmen. Das beeinflusst Friedensoperationen der Vereinten Nationen an verschiedenen Orten in der Welt: Im Irak, in Somalia, in Zentralasien und in der Region des Tschadsees. Die Vereinten Nationen werden diese Arbeit weiterführen und ich hoffe, dass Deutschland seine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat dazu nutzt, den Klimawandel im Fokus zu halten. Es gibt mittlerweile auch ein kleines institutionelles Zuhause für diese Themen im UN Department of Political and Peacebuilding Affairs. Das sind kleine Schritte, aber sie sind essenziell, um die Auswirkungen des Klimawandels auf Sicherheitsfragen und Friedensarbeit bewerten zu können. Und sie sind essenziell, um das Thema in die Arbeit von wichtigen globalen Institutionen zu mainstreamen. Wenn das passiert, dann wird es auch zu anderen Regierungen durchsickern, zum Beispiel in den Ländern der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Dann wird die Debatte auch in der Afrikanischen Union geführt, die zwar eine langsame, aber eine wichtige Institution in Afrika ist. Zu merken, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Sicherheitsfragen gibt, ist ein sehr wichtiger Schritt.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie der Klimawandel Konflikte und Frieden beeinflusst oder beeinflussen wird?

Dan Smith: Man kann nicht davon erzählen, was 2011 in Ägypten passiert ist, ohne den Anstieg der Nahrungsmittelpreise zu erwähnen, der durch den Klimawandel in weit entfernten Ländern ausgelöst wurde, nämlich China, Australien, Kanada oder den USA. Man kann nicht vom Bürgerkrieg in Syrien sprechen, ohne die Dürreperiode zu erwähnen, die fünf Jahre lang herrschte, bevor die Konflikte starteten und die 600.000 bis 800.000 Menschen dazu zwang, ihre landwirtschaftlichen Höfe und Heimatsorte zu verlassen, um in die Städte zu ziehen. Das erklärt nicht vollständig, warum diese Konflikte ausgebrochen sind und sicherlich erklärt es nicht die Gräueltaten, die dort stattfanden. Aber diese Auswirkungen des Klimawandels sind Teil der Erklärungen dessen, wie und warum diese Länder in Krisen gestürzt sind.

Syrien hat viele Erfahrungen mit Dürren, dort ist es normal, regelmäßige Dürreperioden zu haben. Das Problem mit der angesprochenen war, dass sie nicht aufhörte und Jahr für Jahr anhielt. Schaut man sich die Statistiken an, kann man sehen, dass diese lange Dürreperiode auch im Libanon und in Jordanien herrschte, allerdings gab es dort keine Bürgerkriege. Die Dürre ist also ein Teil der Geschichte, aber eben nicht die ganze Geschichte.

Auch im Jemen war es ähnlich. Man kann nicht davon erzählen, wie der Jemen dort hinkam wo er heute ist, ohne zu berücksichtigen, dass im Jemen seit 50 Jahren viel mehr Wasser genutzt wurde als regeneriert wurde. Dazu sind die Regenfälle durch den Klimawandel immer weniger geworden. Vor sechs Jahren erklärte das Wasserministerium des Jemen, dass die meisten kleineren Landkonflikte mit dem Zugang zu Wasserquellen zu tun hatten. Das ist Teil des Hintergrunds vor dem man den Huthi-Konflikt, die Schwäche des jemenitischen Staates und die saudi-arabische Intervention betrachten muss. Und es gibt noch einige weitere Beispiele für diese Zusammenhänge, zum Beispiel auf dem indischen Subkontinent.

Für die Zukunft muss man besonders den Anstieg des Meeresspiegels im Auge behalten. Wenn Regierungen es schaffen, physische und organisatorische Infrastrukturen zu schaffen, um die Bedrohungen durch Überschwemmungen zu reduzieren, ist das toll. Wenn sie Katastrophenbereitschaftspläne entwickeln können, um im Notfall Versorgung zu gewährleisten, ist das auch toll. Aber es beschleicht einen der Verdacht, dass viele Regierungen dies nicht schaffen werden. Das wird nicht direkt zu Krieg führen, doch die Einwohner dieser Länder werden sich alleine gelassen fühlen. Und das kann den Nährboden bilden, auf dem extremistische Organisationen, die Wandel durch Gewalt erreichen wollen, enttäuschte Menschen rekrutieren können, denen die Gewalt als einziger Weg erscheinen könnte, ihrem Leben Sinn zu geben.

In 20 bis 30 Jahren könnte die internationale Sicherheitsagenda sehr überfordert und chaotisch sein. Ich denke, dass die Vorrichtungen dagegen langfristig sein müssen und gar nicht früh genug errichtet werden können. Aber eine der wichtigsten Hindernisse dessen ist eine Binsenweisheit der Katastrophenhilfe: Wenn es eine Katastrophe gibt, etwa ein starkes Erdbeben oder einen Hurricane, kann man sicher sein, dass es Besserung geben wird. Einige, viele, die meisten Menschen werden es überleben und ihr Eigentum wieder reparieren. In einigen Ländern wird es Hilfsgelder geben. Man macht weiter, denn man am Leben ist, dann macht man das eben. Man wird Trauer und Traurigkeit erleben, doch es wird Besserung geben. Denn es muss so sein. Vorbereitung hilft nicht, weil es nicht helfen muss. Wir müssen lernen und verstehen, dass es einen großen Aufwand bedeutet, sich vorzubereiten. Für manche Menschen, zum Beispiel die LeserInnen eures Magazins, ist Vorbeugung selbstverständlich. Aber für sehr viele Menschen – für die überragende Mehrheit – ist dies nicht selbstverständlich, und deshalb auch nicht für viele PolitikerInnen.

Ein Politiker aus Norwegen wurde einmal öffentlich gefragt, warum Regierungen so erfolglos in der Verhinderung bewaffneter Konflikte sind. Seine Antwort war, dass PolitikerInnen nicht dadurch wiedergewählt würden, dass sie ihren WählerInnen erzählen, dass sie einen Krieg verhindern, der womöglich nie stattgefunden hätte, und das in einem Land, von dem die meisten WählerInnen womöglich noch nie gehört haben.

Es ist allen klar, dass Konfliktprävention eine gute Idee ist: Vorbeugung ist besser als Heilung, nicht wahr? Und glücklicherweise ist der UN-Generalsekretär Guterres sehr um Konfliktprävention bemüht. Aber es wird immer einen großen Aufwand bedeuten. Es wird immer bedeuten, dass man den einen Extrameter gehen muss, um zu verhindern, dass langfristigen Risiken vorgebeugt werden kann.

Es gibt den Ruf nach einer neuen Friedensbewegung, aber aktuell hat sich eine neue und starke Bewegung gebildet, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hat. Ist diese Klimabewegung die neue Friedensbewegung?

Dan Smith: Ich war in den 1980ern sehr aktiv in der Friedensbewegung. Und jetzt beobachte ich etwas sehr ähnliches, aber wir reden hier von einer sozialen Bewegung, die mehr als nur ein Thema hat. Für mich ist es besonders interessant, dass Greta Thunberg, die Initiatorin des Protests, sehr viel über Klimagerechtigkeit spricht. Dadurch hat sie und dadurch hat die Bewegung dem Kampf gegen den Klimawandel die Idee der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und Fairness zwischen Ländern hinzugefügt. Denn die Armen dieser Welt werden die Auswirkungen des Klimawandels am stärksten spüren und am härtesten davon getroffen. Zudem braucht es Gerechtigkeit, wenn es darum geht, wie die Abschwächung des Klimawandels und die Anpassung an seine unausweichlichen Folgen organisiert und bezahlt werden sollen. Die Länder, die am schutzlosesten gegen die Auswirkungen des Klimawandels sind, haben am wenigsten gemacht, um das Problem überhaupt zu generieren. Der Klimawandel wurde durch die europäische, amerikanische, russische, chinesische oder japanische Industrialisierung erzeugt. Deswegen ist es so essenziell, dass Gerechtigkeit ein Teil der Klimawandeldebatte ist.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit sind so enorm, dass eine Klimabewegung per definitionem eine Bewegung für friedliche Beziehungen ist. Erstens können die Folgen des Klimawandels nur durch friedliche Zusammenarbeit gelöst werden. Zweitens geht es dieser Bewegung darum zu verhindern, dass die zukünftigen Gründe für bewaffnete Konflikte jemals wahr werden.

Ich stimme zu, wenn gesagt wird, dass der Pariser Klimagipfel 2015 die größte Friedenskonferenz aller Zeiten war. Diese Themen sind sehr eng miteinander verbunden. Jetzt muss man abwarten wie dauerhaft die Klimabewegung sein wird. Solche Bewegung können anfangs sehr aufregend sein, viele Menschen werden darin aktiv, aber verlieren mit der Zeit ihre Energie. Greta Thunberg wird das wahrscheinlich nicht passieren, denn sie wirkt als würde sie auch in Zukunft sehr fokussiert auf das Thema sein. Das ist nicht nur für ihre AltersgenossInnen sehr inspirierend, sondern auch für ältere Menschen, die sich den Protesten anschließen sollten.

Ich fand es toll, als die Schulstreiks begonnen. An einem der Freitagmorgen habe ich aus dem Fenster meiner Wohnung geschaut und normalerweise sieht man zu dieser Uhrzeit viele Schulkinder auf dem Weg zu ihrer Schule, aber an diesem Tag war einfach niemand zu sehen. Es gab plötzlich keine Schulkind-Rush-Hour mehr und ich fand diese hohe Beteiligung einfach großartig. Wenn aber jemand wie Theresa May sagt, dass die SchülerInnen wieder zurück in die Schule gehen sollten und sich auf ihre Arbeit konzentrieren sollten, dann finde ich das hirnlos.

Es ist doch offensichtlich, dass viel mehr in viel weniger Zeit geschafft werden muss, um den Klimawandel zu bekämpfen und sich an seine unausweichlichen Folgen anzupassen. Deswegen sollten wir darauf hoffen, dass die Protestbewegung weitermacht. Mein Rat an sie ist, alt und weise wie ich bin, dass sie mit einer nachhaltigen Geschwindigkeit weitermachen. Denn in den 1980ern habe ich festgestellt, dass es ganz oft die größten EnthusiastInnen waren, die sofort an jeder Tür klopfen und jeden Einzelnen in Großbritannien gegen Marschflugkörper mobilisieren wollten, die dieses Tempo nicht beibehalten konnten und aufgaben. Die, die aber nur einmal im Monat oder nur mehrmals im Jahr aktiv waren, sind diejenigen, die auch noch 10 Jahre später engagiert waren. Wenn man eine nachhaltige Umwelt schaffen will, muss man auch in einer nachhaltigen Geschwindigkeit vorgehen. Menschliche Nachhaltigkeit ist genau so wichtig wie jede andere Nachhaltigkeit.

Vielen Dank für das Gespräch.