Engagiert für Syrien und für den Frieden

Initiativen-Tag am 20.11.2020

Zum Abschluss der Pro Peace-Themenwoche stand die Frage im Fokus, wie friedenspolitisches und humanitäres Engagement für Syrien konkret aussehen kann. In vier Workshops lernten die Teilnehmenden syrische Initiativen in Deutschland kennen und tauschten sich darüber aus, was das Wort „Frieden“ für sie bedeutet.
Aktionstagung 2020
© Pro Peace

Der Initiativen-Tag bildete den Abschluss der Pro Peace-Themenwoche „Frieden für Syrien“. Während bei den Podiumsdiskussionen vom 13. bis 19. November jeweils zwischen 60 und 90 Zuschauer*innen einschalteten und mitdiskutierten, lag der Fokus beim Initiativen-Tag auf dem intensiven Austausch in einer kleineren Gruppe. Einen Nachmittag lang tauschten die rund 25 Teilnehmenden ihre Erfahrungen aus und diskutierten Ideen, wie friedenspolitisches und humanitäres Engagement für Syrien aussehen kann. In der Gruppe waren unterschiedliche Generationen und Nationalitäten vertreten. Moderiert wurde die Veranstaltung von einem deutsch-syrischen Team: Dr. Angelika Maser und Nour Alhalabi.

Die vollständige Dokumentation der Pro Peace Themenwoche „Frieden für Syrien“ können Sie hier herunterladen.

Nour Alhalabi machte zu Beginn der Veranstaltung deutlich, dass das Wort „Frieden“ viele Bedeutungen haben kann – ist die bloße Abwesenheit von Krieg bereits „Frieden“ oder braucht es dafür mehr, zum Beispiel Demokratie, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und Toleranz? Alhalabi betonte, dass die Debatte um Frieden politisch aufgeladen sei: Der eigene Friedensbegriff sei häufig eng mit den persönlichen Erfahrungen verknüpft. Gerade in einer diversen Gruppe mit Menschen unterschiedlicher Herkunft könne es daher unterschiedliche Vorstellungen von Frieden geben. Dies war verbunden mit einem Appell an die Teilnehmenden, anderen Meinungen innerhalb der Gruppe respektvoll zu begegnen. In den anschließenden Gesprächen in Kleingruppen wurde dann auch deutlich, dass es vielfältige Haltungen und Ideen zum Thema „Frieden für Syrien“ gibt. Nour Alhalabi berichtete außerdem, dass viele der syrischen Initiativen in Deutschland ihren Arbeitsschwerpunkt eher auf soziales und humanitäres Engagement legten statt auf politische Arbeit.

Vier Initiativen, die von Syrer*innen gegründet wurden oder mit syrischen Menschen in Deutschland arbeiten, stellten im Laufe des Initiativen-Tages ihre Arbeit vor:
 

Blog „Still There“
Samer Al Najjar

Im Sommer des Jahres 2014 musste Samer Al Najjar gemeinsam mit seiner Familie seinen Geburtsort Homs verlassen. Heute lebt er im nordrhein-westfälischen Velbert. Bereits vor seiner Flucht begann der damals 18-Jährige, seine Erlebnisse zu verdichten und in Form von Kurzgeschichten niederzulegen. Nach seiner Ankunft in Deutschland veröffentlichte er sein erstes Buch.

In dem Blog „Still There“ (auf Deutsch: „Immer noch da“) berichten Samer Al Najjar und weitere Aktivist*innen über die Lage in Syrien – aber auch von ihren eigenen Erfahrungen, dem Ankommen in Deutschland, von ihren Erinnerungen und Ängsten und ihren Hoffnungen für die Zukunft. Über dieses Projekt berichtete der Aktivist beim Initiativen- Tag. Ziel des Blogs sei es, möglichst viele Menschen über die Situation in Syrien zu informieren und den Stimmen junger Syrer*innen Gehör zu verschaffen, erklärte Al Najjar. Das Wort Frieden bedeute für ihn viel mehr als die Abwesenheit von Krieg. Zu einem echten Frieden zählen für ihn auch Werte wie Meinungsfreiheit und Vielfalt. „Es ist das größte Glück meines Lebens, dass ich mich hier in Deutschland frei äußern kann.“

Gefragt, ob er nach fast zehn Jahren Krieg in Syrien noch Hoffnung auf Frieden habe, sagte Al Najjar: „Ich habe die Hoffnung nicht verloren. Irgendetwas wird sich ändern, irgendwann. Und diese kleinen Veränderungen können zu einer großen Veränderung führen, wie bei einem Schmetterlingseffekt. Ich bin mir sicher, dass auch die Menschen im Zweiten Weltkrieg noch Hoffnung hatten.“

Netzwerk Hohenahr – Hilfe für Geflüchtete
Patricia Pollei-Bardelle und Hassan Haj Abdullah Othman

Patricia Pollei-Bardelle und Hassan Haj Abdullah Othman stellten beim Initiativen-Tag die Geschichte und Arbeit des Netzwerks Hohenahr vor. Das Netzwerk ist eine rein ehrenamtliche, informelle Initiative in einer ländlichen Gemeinde in Mittelhessen. Der Ausgangspunkt war die Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete in Hohenahr im Jahr 2013. Daraufhin bildete sich eine Gruppe ehrenamtlicher Helfer*innen, darunter viele Menschen, die sich bereits in anderen Vereinen und Gruppen ehrenamtlich engagierten. Diese enge Vernetzung zu anderen Vereinen, aber auch zu den Kirchengemeinden, zum Bürgermeister und der Gemeindeverwaltung waren sehr wichtig für das Engagement. Inzwischen engagieren sich auch Menschen, die als Geflüchtete nach Hohenahr gekommen sind, in dem Netzwerk, wie zum Beispiel Hassan Haj.

Die Ehrenamtlichen unterstützen die Ankommenden nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe bei Behördengängen und anderen Alltagsfragen. Darüber hinaus organisieren sie ein Begegnungscafé, bei dem zum Teil Expert*innen zum Beispiel über das deutsche Schulsystem, Demokratie und andere Themen informieren. Die Begleitung bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung, ein Kleiderkarussell, ein Nachhilfe-Projekt, der Sprachtreff und Ausflüge in die Region ergänzen das Angebot. In den Jahren 2015/16, als besonders viele Menschen in Deutschland ankamen und das Thema hohe Aufmerksamkeit hatte, engagierten sich bis zu 70 Ehrenamtliche im Netzwerk Hohenahr. Heute sind es 10 bis 20 Aktive.

Projekt „Mut-Macherinnen“ von DaMigra e.V.
Aliaa Almustafa

Aliaa Almustafa berichtete beim Initiativen-Tag über das Projekt „Mut-Macherinnen“. Dieses möchte geflüchteten und neuzugezogenen Frauen das Ankommen in Deutschland erleichtern und ihnen mehr aktive Teilhabemöglichkeiten verschaffen. Es unterstützt mutige Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und als „Macherinnen“ aktiv in ihrer neuen Heimat leben, lernen und arbeiten wollen. Das Projekt stärkt das ehrenamtliche Engagement von Migrantinnen und klärt über Themen wie Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Frauen- und Menschenrechte auf. Ein wichtiges Ziel ist außerdem, gesellschaftlichen Ressentiments gegenüber Geflüchteten entgegenzuwirken und mehr Austauschmöglichkeiten mit der Aufnahmegesellschaft zu schaffen.

Träger des Projekts ist der Dachverband der Migrantinnenorganisationen DaMigra e. V., der seit 2014 bundesweit tätig ist. Der Verband ist parteipolitisch, weltanschaulich sowie konfessionell unabhängig. DaMigra versteht sich als Sprachrohr und Repräsentantin von 71 Migrantinnen*organisationen und setzt sich bundesweit für ihre Interessen in Politik, Öffentlichkeit, Medien und Wirtschaft ein.

Deutsch-Syrischer Verein (DSV)
Isabella Bronkalla

Der Deutsch-Syrische Verein zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte e. V. wurde 2011 gegründet. Isabella Bronkalla stellte den Verein beim Initiativen-Tag vor. Der DSV entstand aus dem Willen heraus, die Menschen in Syrien in ihrem Einsatz für Freiheit und Demokratie zu unterstützen. Seit seiner Gründung leistet der DSV humanitäre Nothilfe in Syrien und Entwicklungshilfe für syrische Geflüchtete und Vertriebene in den Nachbarländern wie der Türkei, Jordanien und im Libanon.

Der Verein mit Sitz in Darmstadt ist aber auch in Deutschland aktiv: Der DSV organisiert zum Beispiel Sprachkurse und Fortbildungen für Geflüchtete. Ziel sei ein einvernehmliches und friedliches Zusammenleben von Neuankömmlingen und Alteingesessenen, erklärte Isabella Bronkalla. Frieden bedeute für sie unter anderem, dass Menschen sicher vor Gewalt sind, ihre Menschenrechte gewahrt werden und sie in Ruhe und Eintracht miteinander leben können.

Der DSV habe in seiner Arbeit die Erfahrung gemacht, dass humanitäre Projekte auch zu Konflikten führen oder sie verstärken können, so Bronkalla. In der Türkei bildet der DSV zum Beispiel syrische Ärzte in psychosozialer Gesundheit weiter. Von türkischer Seite wurde Kritik laut, warum sie nicht an diesen Weiterbildungen teilhaben können. Der DSV baute daraufhin ein Dolmetschersystem auf und lässt nun auch türkische Ärzte zur Weiterbildung zu. Den Initiativen-Tag will Isabella Bronkalla zum Anlass nehmen, um verstärkt darüber nachzudenken, wie der DSV durch seine humanitären Projekte zu Frieden beitragen kann.