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Fünf Jahre nach der Explosion im Hafen von Beirut

Eine Tragödie und menschliches Versagen auf vielen Ebenen

Am 4. August 2020 explodierte im Hafen von Beirut ein Lagerhaus mit 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat. Auslöser waren nach heutigem Wissensstand wahrscheinlich Schweißarbeiten, die ein Feuer verursachten, das in einer Kettenreaktion zuerst dort lagernde Feuerwerkskörper und dann die ungesicherten Chemikalien explodieren ließ. Mehr als 200 Menschen verloren ihr Leben, Tausende wurden verletzt oder obdachlos, ganze Stadtteile wurden zerstört. Im Ausland, auch in Deutschland, wurde die Katastrophe als tragischer Unfall wahrgenommen. Sie war jedoch vielmehr das Ergebnis langjähriger systemischer Versäumnisse, Missachtung und Misswirtschaft, Korruption und einer tief verwurzelten Kultur der Straflosigkeit.
Blick auf den zerstörten Hafen von Beirut
© Jenny Munro / Pro Peace

Mangelnde Rechenschaftspflicht

Überlebende, Angehörige der Opfer und die Zivilgesellschaft forderten immer wieder Transparenz, Rechenschaft und Gerechtigkeit, doch diese Forderungen blieben auch Jahre später unbeantwortet. Zuvor begonnene, schleppende Ermittlungen wurden erst kürzlich, fünf Jahre nach der Katastrophe, wieder aufgenommen – mit ungewisser Aussicht auf Gerechtigkeit. Die gleichen Muster der Korruption und jahrelangen Missmanagements, die höchstwahrscheinlich auch zur Explosion geführt hatten, prägen auch die stockenden Ermittlungen.

Viele Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe zum Hafen wurden völlig zerstört.

Wiederaufbau

Der Wiederaufbauprozess nach der Explosion offenbarte sowohl Lücken als auch Stärken in den Strukturen des Libanon. Der Staat übernahm keine Führungsrolle beim Wiederaufbau, da zu diesem Zeitpunkt keine funktionierende Regierung existierte. Seit Protesten im Jahr 2019 gegen die tiefe Wirtschaftskrise und staatliche Misswirtschaft flossen internationale Hilfen fortan direkt an die Vereinten Nationen und zivilgesellschaftliche Organisationen. Trotz aller Herausforderungen war die Zivilgesellschaft vorbereitet: Die Lehren aus früheren Krisen – dem Syrien-Krieg ab dem Jahr 2011 und dem Konflikt in Tripolis im Norden des Libanon in den Jahren 2013/14 – hatten die Koordination unter den NGOs gestärkt.

Besonders beeindruckend und bewegend war die Solidarität innerhalb der Bevölkerung. Am Tag nach der Explosion strömten Freiwillige aus dem ganzen Libanon nach Beirut, säuberten die Straßen, organisierten Gemeinschaftsküchen, boten Unterkünfte an und verteilten Lebensmittel. Initiativen wie Nation Station, entstanden in einer beschädigten Tankstelle, die zu einer Notfallzentrale und später zu einem Gemeindezentrum wurde, verdeutlichen die Widerstandsfähigkeit und den Einfallsreichtum der lokalen Gemeinschaften.

Straßenzug im stark zerstörten Stadtviertel Mar Mikhael wenige Tage nach der Explosion.

Von Krise zu Krise

Die Menschen und Gemeinschaften im Libanon hatten seit Jahrzehnten kaum Zeit, sich von einem Trauma zu erholen, bevor das nächste eintrat. Eine Krise folgt auf die andere. Dies beeinträchtigt nicht nur die psychische Gesundheit, sondern es raubt den Menschen auch die Energie, die für strukturelle Veränderungen notwendig wäre. Friedensarbeit erfordert jedoch Ausdauer, und in einem Kontext, in dem die Machthaber von Instabilität profitieren können, ist es besonders schwer diese Ausdauer aufzubringen. Daher braucht es langfristige Unterstützung, wie Pro Peace und seine Partner sie leisten.

Die sofortige Solidarität der ausländischen Zivilgesellschaft nach der Katastrophe war immens – allein Pro Peace erhielt rund 80.000 Euro an Spenden. Dieses Geld floss bewusst nicht in kurzfristige humanitäre Hilfe, da andere Organisationen diesen Bereich bereits abdeckten. Stattdessen konzentrierte Pro Peace seine Unterstützung auf sechs lokale Initiativen, die sich unter anderem für Traumabewältigung, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Förderung einer offenen Debattenkultur und investigativen Journalismus einsetzten. So versuchte Pro Peace, die Kernfaktoren anzugehen, die sowohl bei der Aufarbeitung von Missmanagement und der Forderung nach Rechenschaftspflicht als auch bei der Konfliktbearbeitung im Mittelpunkt stehen.

The Public Source ist eine von sechs lokalen Initiativen, die wir unterstützen, weil ihr investigativer Journalismus einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation leistet.

Reflektionen über internationale Solidarität in Krisenzeiten

Trotz internationaler Unterstützung waren es hauptsächlich lokale Solidarität, Basisinitiativen und Gemeinschaftsprojekte wie Nation Station, die akute Hilfe organisierten. Das zeigt, warum langfristige Unterstützung lokaler Strukturen, wie Pro Peace sie leistet, weitaus nachhaltiger ist als die alleinige Abhängigkeit von internationaler Hilfe, die oft an wechselnde Regierungsagenden und externe Interessen gebunden ist.

Der 4. August und das Gedenken an die Explosionskatastrophe erinnern uns aber auch daran, dass einmalige Großzügigkeit nicht ausreicht, vor allem wenn sie zur Adressierung von Symptomen gelten. Spenden sind wichtig und Pro Peace dankt allen Spender*innen, die die Bemühungen im Jahr 2020 unterstützt haben. Für langfristige Veränderungen braucht es jedoch mehr: Nachhaltige Lobbyarbeit, um Machthaber in die Verantwortung zu ziehen, und auch Druck zur (internationalen) Rechenschaftspflicht und Unterstützung für diejenigen, die vor Ort den Wandel vorantreiben.

Als deutsche internationale Friedensorganisation hat Pro Peace in diesem Kontext eine besondere Position - lokal im Libanon verankert, aber auch mit Zugang zu Gesprächen und Entscheidungsträger*innen in Deutschland und Europa. Diese doppelte Rolle schafft Chancen und Verantwortung gleichermaßen. Deutschland ist sowohl ein wichtiger Geldgeber als auch ein Waffenlieferant in der Region. Die Advocacy-Arbeit von Pro Peace gegenüber der deutschen Politik hat daher eine besondere Bedeutung und erfordert Fingerspitzengefühl, Bescheidenheit und Transparenz hinsichtlich der eigenen Position.

Wir rufen unsere Netzwerke und Verbündeten dazu auf, ihre Stimme zu erheben und Rechenschaftspflicht, die Einhaltung von internationalen Gesetzen und daher auch die Einstellung von Waffenlieferungen in Konfliktgebiete zu fordern – sei es im Libanon, in Syrien oder im Gazastreifen – und, dass internationale Akteure echten diplomatischen Druck ausüben, um den Krieg und die israelische Blockade Gazas zu beenden, die zum Aushungern und Massensterben in der Bevölkerung führt.

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