Der Sozialpädagoge Alfred Bernard arbeitet in einem Bonner Jugendzentrum. Oft berichten ihm Jugendliche von negativen Erfahrungen mit der Polizei und auch er selbst hat schon Rassismus erlebt. 2019 hat er die Ausbildung zum Friedens- und Konfliktberater an der forumZFD-Akademie absolviert.
Ein großes, blau-weißes Grafitti prangt an der Betonwand: ‚Wir in Medinghoven!‘ ist da zu lesen. „Das haben unsere Jungs angebracht, als Zeichen für Zusammenhalt im Viertel“, sagt Alfred Bernard, der gegenüber vor dem Eingang des Jugendzentrums Medinghoven steht. Er tritt durch die Tür und deutet einladend in den hellen Raum, der früher einmal eine evangelische Kirche war. „Besonders groß ist es nicht“, fügt er etwas entschuldigend hinzu. In der Mitte stehen ein Billardtisch und ein Tischkicker. Eine gemütliche Sofaecke, eine Küche, ein kleines Bücherregal und mehrere Computer ergänzen das Angebot. An den Wänden hängen Fotos von Ausflügen und Festen.
Alfred Bernard arbeitet seit 2018 im Jugendzentrum. Der 36-Jährige ist ausgebildeter Sozialpädagoge und hat letztes Jahr den berufsbegleitenden Kurs zum Friedens- und Konfliktberater an der Akademie für Konflikttransformation erfolgreich abgeschlossen. Diese Erfahrungen fließen in seine Arbeit mit den Jugendlichen ein. Dienstags bis freitags ist er ab mittags vor Ort, dazu kommen zusätzliche Angebote wie Kinoabende, Exkursionen und Feriencamps. Die Arbeit mache ihm viel Spaß, so Bernard: „Ich kann hier an den Themen arbeiten, die mich interessieren.“ Mittags kocht er für die Jugendlichen, nachmittags ist er Ansprechpartner für alle möglichen Fragen, die seinen Schützlingen auf der Seele liegen – von Konflikten in der Familie über Beziehungen bis hin zu Schule und Zukunftsplänen.
„Wenn wir etwas ändern möchten, müssen wir bei den jungen Menschen ansetzen.“
„Den Jungs fehlt es an Selbstbewusstsein“
Das Zentrum im Martin-Bucer-Haus wird von der Evangelischen Jugendhilfe Godesberg betrieben. Medinghoven gehört zu Duisdorf, einem Stadtteil ganz im Westen von Bonn. Hochhäuser prägen das Straßenbild. Zu Hauptstadt-Zeiten lebten viele Staatsbedienstete hier, seit der Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin zogen verstärkt Einwander*innen nach Medinghoven. „1,2 Quadratkilometer Fläche, 80 Prozent Migrationshintergrund, viel Arbeitslosigkeit. Eben ein ‚sozialer Brennpunkt‘“, sagt Alfred Bernard und malt mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. Die Bezeichnung gefällt ihm nicht, ebenso wenig wie die Stigmatisierung der Menschen, die hier leben.
„Wenn man in so einer Ecke groß wird, fehlt es einem an Selbstbewusstsein“, erklärt Bernard. „Viele der Jugendlichen schämen sich. In der Schule hören sie ständig: ‚Aus dir wird ja eh nichts.‘ Den Traum vom Studium haben sie schon lange aufgegeben, ein Ausbildungsplatz gilt hier als Jackpot. Keiner von unseren Jungs möchte hierbleiben und in Medinghoven eine Familie gründen.“
„Unsere Jungs“, das sagt Bernard häufig, wenn er von seinen Schützlingen spricht. Die Jugendlichen, hauptsächlich junge Männer, fast alle mit Migrationshintergrund, fühlten sich oft ausgeschlossen. Ein Gefühl, das Bernard gut nachvollziehen kann, denn er selbst musste sich früh an eine völlig neue Umgebung gewöhnen: Bis zu seinem 16. Lebensjahr wuchs er im westafrikanischen Benin auf. Als sein Vater eine neue Stelle antrat, zog die Familie nach Deutschland. Bernards Kindheitstraum, Pilot zu werden, musste er an den Nagel hängen – erstmal ging es nun darum, Deutsch zu lernen. „Es war eine schwierige Phase“, sagt Bernard heute. Nach seinem Realschulabschluss absolvierte er ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Offenen Ganztagsschule – sein Interesse für Pädagogik war geweckt.
Konflikte mit Polizei sind Alltag
Ein Thema, mit dem sich ‚seine Jungs‘ häufig an ihn wenden, sind negative Erfahrungen mit der Polizei. In Medinghoven sind regelmäßig Streifenwagen unterwegs. Wenn sich die Jugendlichen im Freien aufhielten, wirke das auf die Polizei direkt verdächtig. Oft komme es zu Konflikten. Einen 13-Jährigen, der sich ein teures Fahrrad von einem Freund geliehen habe, hätten die Beamt*innen einmal in Handschellen aufs Revier gebracht – in der Annahme, er habe das Rad gestohlen, was sich als Missverständnis herausstellte. Alfred Bernard wundert sich über dieses Vorgehen: „Mein Eindruck ist, dass es häufig um Macht geht. Dabei sollte die Polizei es doch besser wissen.“
Vorurteile und Alltagsrassismus hat Bernard in Deutschland selbst oft genug erfahren, etwa bei der Wohnungssuche. Auch am Flughafen werde er überdurchschnittlich oft kontrolliert. „Bei sieben von zehn Flügen werde ich aus der Schlange gezogen und ohne Anlass auf Drogen überprüft“, sagt Bernard. Am Anfang sei dies für ihn sehr frustrierend gewesen, berichtet er. „Ich bin schon mit so einer Anspannung aus dem Flieger gestiegen in dem Wissen: Gleich bin ich wieder an der Reihe.“
Die Weiterbildung bei der Akademie für Konflikttransformation habe ihm sehr geholfen, solchen Situationen mit mehr Gelassenheit zu begegnen. Er erzählt: „Wut macht in mir selbst zu viel kaputt. Deshalb versuche ich nun lieber, solche Kontrollen mit Humor zu nehmen – ich weiß ja, dass ich nichts falsch gemacht habe. Als ob ein Drogendealer ausgerechnet mich als Kurier anheuern würde“, fügt er selbstironisch hinzu und deutet lachend auf seine langen Rasta-Locken.
Gemeinsame Ausflüge gehören im Jugendzentrum Medinghoven mit zum Programm.
Lösungsansätze gegen Rassismus
Im Rahmen des Akademie-Kurses hat Bernard ein Lernprojekt zum Thema ‚Racial Profiling‘ durchgeführt, also dem Kontrollieren von Personen allein aufgrund ihres Aussehens. Gemeinsam mit zwei weiteren Kursteilnehmenden hat er unter anderem Interviews mit Polizist*innen geführt und Lösungsansätze entwickelt. Er ist überzeugt, dass es vor allem auf kommunaler Ebene viel mehr Dialog braucht. Wenn die Polizei zum Beispiel an weiterführenden Schulen mit Jugendlichen ins Gespräch kommen würde, könnte das Transparenz herstellen und damit Vertrauen auf beiden Seiten schaffen.
Parallel zu seiner Arbeit im Jugendzentrum hat Alfred Bernard außerdem ein Trainingsprogramm konzipiert, um junge Menschen für das Thema Rassismus zu sensibilisieren. In mehreren Workshops lernen sie, wo Rassismus im Alltag und in unserer Gesellschaft stattfindet, und wie jede*r Einzelne mit Zivilcourage Betroffene unterstützen kann. Mit seinen Workshops richtet er sich bewusst an Schulen und Bildungseinrichtungen. Er möchte aufklären, sensibilisieren, das Problembewusstsein schärfen. Der Friedens- und Konfliktberater ist überzeugt:„Wenn wir etwas ändern möchten, müssen wir bei den jungen Menschen ansetzen.“
Weiterbildungen an der forumZFD-Akademie:
Der berufsbegleitende Kurs in Friedens- und Konfliktarbeit richtet sich an alle, die in der zivilen Konfliktbearbeitung oder angrenzenden Bereichen arbeiten möchten. Bewerbungsschluss ist der 1. Dezember 2020 (Beginn: Februar 2021). Weitere Infos unter: https://www.forumzfd-akademie.de/de/weiterbildungen