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„Sicherheit entsteht durch Vertrauen“

Pro Peace-Referentin Imke Kerber zu Gast in der WDR-Sendung Politikum

Was hilft gegen wachsende Gewalt in Deutschland? Das will Max von Malotki als Moderator der WDR5-Sendung Politikum herausfinden und stößt dabei auf Pro Peace und die Kommunale Konfliktberatung. Im Gespräch erklärt Referentin Imke Kerber, warum wir mehr in die Bearbeitung von Konflikten investieren sollten. Das Interview zum Nachlesen.
WDR5 Politikum: Imke Kerber und Max von Malotki
© WDR/Pro Peace

Die Sendung mit dem Titel „In Kommunen Frieden stiften & Soziale Absicherung wertschätzen“ lief am 23. Juni 2025 auf WDR5 und ist seitdem als Podcast online sowie in den meisten Podcast-Apps verfügbar.

Max von Malotki (WDR): Die Polizeibilanz des letzten Jahres zeigt: mehr Messerattacken, mehr Gewaltkriminalität, mehr Kriminalität. Das führt zu einem zunehmenden Ruf nach mehr „Law and Order“. Also: Wie wird Deutschland wieder sicher? Diese Frage ist auch Thema auf dem Deutschen Präventionstag, der seit heute in Augsburg stattfindet. Aber meine Gesprächspartnerin sagt: Mit dem Fokus auf Sicherheit beschränken wir uns zu sehr. Oft geht es nur um die Durchsetzungsfähigkeit der Polizei – dabei müsse man die zugrunde liegenden Konflikte ernsthaft bearbeiten. Frau Kerber, hallo.

Imke Kerber (Pro Peace): Hallo, guten Tag. Schön, hier zu sein. 

Sie sagen, unser Sicherheitsbegriff verkürzt die Probleme. Warum? 

Weil es bei der reinen Sicherheitslogik vor allem um Abwehr und Kontrolle geht. Wir bei Pro Peace sind überzeugt, dass Sicherheit entsteht, wenn Menschen in Kommunikation treten und Vertrauen aufgebaut wird. Es geht darum zu verstehen, welche Konflikte hinter sichtbaren Symptomen stehen – hinter dem, was man in Statistiken sieht. Nur so kann man die eigentlichen Ursachen angehen.

© Pro Peace

Sie setzen auf konstruktives Miteinander, ganz konkret auf kommunaler Ebene. Was bedeutet das?

Ich begleite Kommunen, die einen Konflikt erleben, ein bis drei Jahre lang – präventiv oder auch nach einer Eskalation. Dabei erleben wir oft, dass das Interesse groß ist, sich wirklich mit den Ursachen auseinanderzusetzen. Zwar herrscht zunächst oft der Eindruck, dass alles schnell gehen muss, aber gemeinsam mit den Beteiligten entsteht meist das Verständnis, dass es Zeit und eine gründliche Analyse braucht, um die Konfliktlinien zu erkennen und passende Maßnahmen zu entwickeln, um den Konflikt zu transformieren.

Das ist ein schöner Ansatz. Aber viele würden sagen: Warum überhaupt Diskussionsspielraum? Es geht doch um Recht und Gesetz – und Kriminelle halten sich daran oft nicht. Ist es Aufgabe der Gesellschaft, denen beizubringen, dass Körperverletzung nicht okay ist?

Wenn Jugendliche eine Perspektive haben, verändert sich ihr Verhalten

Es geht keineswegs darum, Gewalttaten zu tolerieren. Aber wir fragen: Warum werden Menschen kriminalisiert? Und wie können wir auch die erreichen? In vielen Kommunen arbeiten wir z. B. mit Polizei und kriminell auffälligen Jugendlichen zusammen. Wir sehen, dass durch neue Formen der Begegnung Eskalationsspiralen durchbrochen werden können. Wenn Jugendliche eine Perspektive sehen oder sich als Teil der Stadtgesellschaft fühlen, verändert das ihr Verhalten.

Aber bei akuten Problemen – nehmen wir rechtsextreme Gruppen und deren Gewaltbereitschaft – habe wir da die Zeit Vertrauen aufzubauen. Da sagt der Politikwissenschaftler Dierk Borstel: Da muss der Staat mit polizeilicher Repression reagieren, um das Gewaltmonopol durchzusetzen und Opfer zu schützen. Muss nicht erst Sicherheit hergestellt werden, bevor man wieder in den Dialog treten kann?

Ich fand es sehr schön, dass heute beim Deutschen Präventionstag schon in der Eröffnungsrede gesagt wurde: Sicherheit entsteht nicht allein durch Polizei. Es braucht das Zusammenspiel mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, mit solchen Akteuren ins Gespräch zu kommen. Ein Nacheinander funktioniert an der Stelle nicht, sondern es muss gleichzeitig passieren.

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Ich finde das super spannend, weil natürlich auch ganz oft die Argumentation ist: Mit denen kannst du überhaupt nicht reden und sie wollen auch keinen Dialog. Wie sichtbar sind die Konflikte, die dahinter liegen? 

Man muss unterscheiden zwischen demokratiefeindlichen, menschenverachtenden Akteuren – und Menschen, die eher Mitläufer sind. In unseren Gesprächen vor Ort tauchen oft nachvollziehbare Themen auf: der Wunsch nach Mitgestaltung, gesehen zu werden, oder negative Erfahrungen – z. B. aus der Wendezeit. Das können auch Motive für diese Haltung sein und da sollten wir differenziert bleiben und uns immer den gesamten Kontext anschauen. Wir arbeiten mit einer systemischen Perspektive: Wir schauen auf Beziehungen, Strukturen, Machtasymmetrien und darauf, wie sich etwas verändert, wenn man an einem Punkt ansetzt.

Vertrauen aufbauen, Frieden schaffen

Haben Sie ein Beispiel aus Ihrer Arbeit? 

Ein gut dokumentierter Fall war in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Dort gab es ein Viertel mit vielen neu zugezogenen Menschen, oft aus dem Ausland. Es wurde schnell zum Problemviertel abgestempelt, auch von der Polizei. Die Gewalt eskalierte, Polizeifahrzeuge fuhren irgendwann nur noch zu zweit hinein – aus Sorge vor Angriffen. Wir konnten dann einen Dialogprozess starten: Polizei und Jugendliche kamen ins Gespräch, die Polizei reflektierte ihr eigenes Handeln, und lokale Hilfsangebote wurden besser koordiniert. So entstand Vertrauen, und wir konnten zeigen: Selbst in eskalierten Situationen kann Kommunale Konfliktberatung langfristig wirken. Ich glaube, das ist das, was wirklich bei uns im Fokus steht: Wir schaffen den Frieden dadurch, dass wir langfristig eine vertrauensvolle Gesellschaft aufbauen, in der Konflikte konstruktiv bearbeitet werden können.

Sie sind ja wahrscheinlich häufiger mal konfrontiert mit Leuten, die sich eigentlich an die Gurgel springen wollen. Wie kriegen Sie das alles gepuffert, dass Sie immer so schön ausgeglichen sind im Tagesjob? 

Tatsächlich, genau, das kommt vor. Wir führen aber viele Einzelgespräche im vertraulichen Rahmen. So kann man sich gut auf das Gegenüber einlassen. Zum Glück habe ich in meiner Praxis nicht viele persönliche Konfrontationen. Aber es ist natürlich frustrierend, wie viele Konflikte in der deutschen Gesellschaft gerade hochkochen und wie wenig man investiert, um damit umzugehen. Ebenso bei internationalen Konflikten, die auch eine Auswirkung auf Kommunen in Deutschland haben. Es gibt in Konflikten so viel Potenzial für Veränderungen. Ich würde wir wünschen, dass wir viel mehr in Konfliktarbeit investieren. Da ist ein ganz großer Schatz, den wir hebe können, um einen Beitrag für mehr Frieden in Deutschland zu leisten.

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