Von Arabien nach Königswinter und zurück

Meine Reise durch den Krieg für eine bessere Zukunft

Als Faiz Al Senwi die Chance erhält, an der Weiterbildung in „Friedens- und Konfliktarbeit“ der Akademie für Konflikttransformation teilzunehmen, macht er sich auf eine riskante Reise nach Deutschland. Er berichtet von den Auswirkungen des Kriegs im Jemen auf das Leben der Menschen und was er aus dem Kurs der Akademie mitgenommen hat.

Faiz Al Senwi vor seinen Heimatbergen im Jemen
© privat

Der Weg, der vor mir liegt, ist lang. Es ist Spätsommer 2016 und ich habe mir etwas vorgenommen. Meine Familie hat Angst, aber ich kann einfach nicht anders. Ich will diese Chance unbedingt nutzen – egal was kommt.

Ich bin Faiz Al Senwi und lebe im Jemen, in der Hauptstadt Sana’a. Die Luft ist heute warm und trocken. Der letzte Regen ist gefühlt schon wieder lange her. Weggewaschen hat er die schmutzige Atmosphäre von Krieg und Gewalt nicht.


Ich beobachte meine Kinder beim Spielen im Hof. Das Leben im Krieg mit all seinen Einschränkungen und Schrecken ist Alltag für sie. Seit Jahren wird in meinem Land gekämpft. Die radikale Huthi­-Bewegung kontrolliert seit dem Jahr 2012 den Nordwesten, darunter auch Sana’a, wo wir wohnen, und die Hafenstadt al­Hudaia. Der Rest des Landes ist zwischen Anhängern des abgesetzten Präsidenten Mansur Hadi und von Osten kommenden jemenitischen Al­Qa’ida­ Kämpfern aufgeteilt. Selbst die Terrorgruppe IS hat es geschafft, sich im Jemen einzunisten und einige Städte im Süden und Südosten an sich zu reißen. Im Norden greifen die Kämpfe auch über die Grenze nach Saudi ­Arabien über, deshalb werden seit vergangenem Jahr auch von einer dort angeführten Militärkoalition regelmäßige Bombenangriffe auf Ziele bei uns durchgeführt.

 

Alles wird immer schlimmer

Es gibt zu wenig Essen, zu wenig sauberes Trinkwasser, zu wenig Benzin, zu wenig, um den Lebensunterhalt zu sichern. Zu wenig von allem Notwendigen. Und zu viele Bomben und Hass.

Mit Beginn des Kriegs im Jahr 2014 unterbrechen viele internationale Organisationen, Botschaften und Konsulate ihre Arbeit in Jemen und verlassen das Land. Als selbstständiger Berater habe ich plötzlich keine Möglichkeiten mehr, Aufträge zu finden. Die eingeschränkte Reisefreiheit erschwert meine Situation zusätzlich: Überall im Land gibt es Checkpoints, an denen mir die Weiterfahrt in andere Städte verwehrt wird. Ich muss mein eigenes Unternehmen schließen, einen neuen Job finde ich nicht.

Aber einfach aufgeben? Das kann ich nicht. Und dann tut sich eines Tages unerwartet eine Chance auf: Ich erhalte ein Stipendium der Friedich­-Ebert­-Stiftung, um an einem Kurs in Friedens-­ und Konfliktarbeit der Akademie für Konflikttransformation teilzunehmen. Ich habe ein neues Ziel, ich werde nach Deutschland reisen! Doch es gehört mehr dazu, als sich in ein Flugzeug zu setzen und hin zufliegen. Viel mehr.

Denn wieder legt mir der Bürgerkrieg in meiner Heimat große Steine in den Weg. Der Flughafen in Sana’a ist geschlossen. Nur von Aden aus, im Süden an der Küste, kann man noch fliegen. Die Fahrt von Sana’a nach Aden ist jedoch nicht erlaubt und bei jeder Kontrolle wird der Geburtsort überprüft.

Meine Mutter, meine Ehefrau und meine Schwestern wollen mich nicht gehen lassen. Aus Angst vor dem, was mir zustoßen könnte, aus Angst, ich könnte nie wieder zurückkehren. Wie würde ich den Flughafen in Aden erreichen? Wie sollte ich es über die inneren Grenzen und durch die gefährlichen, umkämpften Gebiete schaffen? Würde ich sicher ankommen? Nur mein Vater ermutigt mich zu der Reise nach Deutschland. Letztlich siegt mein Wille, endlich weiter zukommen, etwas tun zu können, und ich entschließe mich, die Fahrt in den Süden zu riskieren.

Meiner Familie hinterlasse ich etwas Geld, damit sie sich in den kommenden Monaten durchschlagen kann. Der Abschied ist hart.

Die gefährlichste Reise meines Lebens

Über illegale Wege, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Motorrad und zu Fuß bewege ich mich heimlich immer weiter nach Süden. Ich schlafe an versteckten Orten in Städten und Dörfern, die ich nicht kenne. Wenn ich entdeckt werde, könnte ich getötet werden. Nur ein einziger Kontakt zu meiner Familie oder meinen Freunden wäre zu riskant.

Endlich, nach drei Tagen, erreiche ich Aden, erschöpft, aber noch längst nicht am Ziel. Zwei weitere Tage muss ich mich in der Stadt versteckt halten, bis mein Flieger geht. Noch immer wage ich es nicht, meine Frau anzurufen. Was wird passieren, wenn ich am Flughafen kontrolliert werde?

Beim Check­-in tritt meine Befürchtung ein: Ich werde verhaftet und stundenlang befragt. Minuten und Stunden ziehen sich in die Länge. Ich weiß nicht, was mit mir passieren wird. Am Ende gelingt es mir, die Beamten zu überzeugen. Ich darf ausreisen! Ich atme tief ein, sauge noch einmal die jemenitische Luft in mir auf und steige ins Flugzeug. Der erste Teil ist mir gelungen, aber erleichtert bin ich nicht. Meine Heimat und Familie zu verlassen ist das Eine, in ein paar Monaten die Rückkehr zu schaffen, steht mir noch bevor.

© forumZFD

 

Bilder aus einem fremden Land

Es regnet, als ich Anfang September in Deutschland ankomme. Alles ist grün und die Luft riecht ganz anders als in Sana’a. Meine Kinder können sich kaum vorstellen, wie es in dem für sie fremden Land aussieht, trotz der Bilder, die ich mit dem Handy schicke.

Am 9. Oktober 2016 höre ich wieder von meiner Frau. Die Verbindung ist schlecht, aber ihr und den Kindern geht es gut. Am Tag zuvor hatte es einen Luftangriff auf eine Trauerfeier in Sana’a gegeben. 140 Menschen sterben, mehrere Hundert werden verletzt.

Ich stürze mich in die Arbeit. Ich weiß, wie wichtig die Weiterbildung für mich ist. Die folgenden Wochen bestätigen mich in der Entscheidung, die schwierige Reise auf mich genommen zu haben. Und die enge Verbindung mit den anderen Teilnehmenden, die während des Kurses entsteht, gibt mir immer wieder neue Kraft.

Als ich am Ende das Zertifikat der Akademie für Konflikttransformation in den Händen halte, fühle ich mich selbstbewusst und zuversichtlich. Ich habe viel Fachwissen und Mut für meine Arbeit als Friedens­ und Konfliktberater gesammelt und mir einen Plan für das gemacht, was ich in den nächsten zehn Jahren erreichen möchte.

Erneute bange Momente erwarten mich am Düsseldorfer Flughafen. Nervös stehe ich am Schalter. Meine Frau, meine Kinder, meine Eltern – werde ich sie bald wiedersehen? Doch diesmal geht alles gut. Ich bekomme die Erlaubnis, nach Jemen zurückzufliegen.

Ich darf wieder nach Hause!

Es ist Mitte November. Wärmende Sonnenstrahlen empfangen mich. Meine Kinder laufen aus dem Haus, um mich zu begrüßen. Ich bin am Ende meiner Reise angelangt – erleichtert.
Eine Woche später organisiere ich in Sana’a einen dreitä­gigen Workshop zu Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung. Das, was ich bei der Akademie gelernt habe, möchte ich direkt an so viele Menschen im Jemen weitergeben, wie ich kann. Ich baue ein kleines Team auf, das ich in Konfliktanalyse und der Planung von Friedensprojekten schule.

© privat

 

Erste Schritte in eine gewaltfreie Zukunft

Unsere erste Analyse machen wir an einer privaten Schule. Denn ein großes Problem im Jemen, das der Krieg mit sich bringt, ist Gewalt an Schulen. Jugendliche bringen Waffen mit, ihr Verhalten wird immer aggressiver. Auch Lehrkräfte und Schulleitung werden in schwierigen Situationen häufig gewalttätig. Mit unseren Ergebnissen wollen wir gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern Projekte entwickeln, um die Gewaltspirale zu beenden und den Umgang der Beteiligten untereinander in Zukunft friedlich, respektvoll und konstruktiv zu gestalten.

Für uns, die Menschen, die im Jemen leben, ist das ein erster Schritt, um zu lernen, dass Konflikte gewaltfrei besser bearbeitet werden können.

Der nächste Schritt mit meinem Team ist, die Rolle von Nichtregierungsorganisationen im Jemen zu analysieren. Nach einem Monat sind wir endlich so weit, dass wir anhand der Ergebnisse an verschiedenen Ideen für Friedensprojekte arbeiten. Wir suchen jetzt nach Geldmitteln, um die Projekte auch umsetzen zu können.

Unterdessen geht der Krieg um mich herum unentwegt weiter. Ständig fällt der Strom aus und die Internetverbindung zur Außenwelt ist schlecht. Aber ich gebe nicht auf. Schritt für Schritt gehe ich weiter, auf dem Weg in ein Leben mit weniger Gewalt. Und hoffentlich, irgendwann, eine Heimat ohne Krieg.

Aufgezeichnet von Kristin Kretschmann.