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Westlicher Balkan: Mutige Frauen trotzten der nationalistischen Gewalt

Ein neues Buch untersucht, wie sich eine Gruppe mutiger Frauen gegen Krieg und Unterdrückung im ehemaligen Jugoslawien und in Albanien mobilisierte.

Mitte der 1980er Jahre sah Sonja Biserko den möglichen Zerfall der jugoslawischen Föderation voraus. Was sie nicht ahnen konnte, war das Ausmaß der blutigen Auflösung und die nachhaltigen Auswirkungen auf eine ganze Generation. Was sie tun konnte, war, sich dem brutalen Regime zu widersetzen und sich mit anderen Frauen in der Region zu solidarisieren.
Das Cover des Buches "Resistance"
© Pro Peace

Nach mehr als 30 Jahren Aktivismus ist sie sich über die Auswirkungen ihrer Bemühungen immer noch unsicher. „Es gibt eine Dimension in mir, die sicherlich nicht zum Vorschein gekommen wäre, wenn Jugoslawien nicht brutal und mit so weitreichenden Folgen zerfallen wäre“, meint sie. Die 77-jährige Biserko, Leiterin des Belgrader Helsinki-Komitees und mehrfach ausgezeichnete Menschenrechts- und Friedensaktivistin, wurde auch für den Friedensnobelpreis nominiert.

Sie ist eine von 11 Frauen, deren Aktivismus in dem neu erschienenen Buch "Resistance: Women of Peace and Justice in Former Yugoslavia and Albania" (Frauen für Frieden und Gerechtigkeit im ehemaligen Jugoslawien und Albanien) vorgestellt wird, das kürzlich von Pro Peace und der Youth Initiative for Human Rights (YIHR) veröffentlicht wurde.

Sonja Biserko aus Belgrad ist seit dem Beginn der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien eine der wichtigsten Friedensaktivitsinnen. Ihre Geschichte wird im Buch "Resistance" erzählt.

Während des gewaltsamen Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien organisierten sich diese Frauen aus Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und dem Kosovo und spielten eine Schlüsselrolle im Widerstand gegen die Gewaltpolitik. Nach dem Krieg übernahmen sie eine ebenso wichtige Rolle bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen und der Unterstützung von Überlebenden.

„Aus heutiger Sicht scheint es mir, als hätte ich mein ganzes Leben lang mit dem ehemaligen Jugoslawien zu tun gehabt“, sagte Biserko. „Es war eine sehr harte, tragische und herausfordernde Erfahrung, aber sie hat mich zu dem geformt, was ich heute bin.“ Anhand der persönlichen Erfahrungen und Geschichten von 11 Frauen zeigt das Buch ihre aktive Rolle im Widerstand gegen nationalistische Ideologien und im Kampf für Menschenrechte, Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung.

Korab Krasniqi von Pro Peace im Kosovo, der das Buchprojekt leitete, sagt, das Buch dokumentiert, wie sich einige Frauen gegen Krieg, Gewalt und politische Unterdrückung im ehemaligen Jugoslawien und in Albanien gewehrt haben. „Dieses Buch gibt einen klaren Einblick in die Herausforderungen, den Schmerz und den Mut dieser Frauen und vermittelt die Botschaft, dass es selbst in den dunkelsten Momenten Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit gibt“, so Krasniqi. „Von der Dokumentation von Gräueltaten bis hin zur Organisation von Protesten und der Leitung humanitärer Bemühungen haben diese Frauen zur Wahrheitsfindung und zur Anerkennung von Kriegsverbrechen beigetragen“, so Krasniqi weiter.

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Stärke und Widerstandskraft

Nora Ahmetaj, eine Menschenrechtsaktivistin und Wissenschaftlerin aus dem Kosovo, arbeitete während des Kosovo-Krieges für die NRO Humanitarian Law Centre und berichtete über Menschenrechtsverletzungen. Sie erinnert sich an die Opfer, die ihre Kollegin Natasa Kandic brachte. Kandic hatte ihr nach den NATO-Luftangriffen im März 1999 zur Flucht aus dem Kosovo verholfen und sie in Belgrad untergebracht.

Nora Ahemtaj, Projektmanagerin im Ukraine-Programm von Pro Peace, gibt tiefe Einblicke in ihre Kindheit in Pristina.

In den 1990er Jahren, als sich die ethnischen Gräben vertieften, lernte die heute 56-jährige Ahmetaj viele Aktivist*innen in Serbien, Kroatien sowie Bosnien und Herzegowina kennen, die sich gegen das Regime von Slobodan Milosevic in Belgrad stellten und sich für die Dokumentation schwerer Menschenrechtsverletzungen einsetzten. Durch das Netzwerk Women in Black habe ich viel über Feminismus, Antimilitarismus und Patriarchat gelernt - und wie alle drei miteinander verwoben sind“, so Ahmetaj.

Im Kosovo protestierte sie gegen Menschenrechtsverletzungen, die die albanische Mehrheitsbevölkerung betrafen. Wenn sie mittwochs in Belgrad war, schloss sie sich den wöchentlich stattfindenden „Women in Black“-Protesten gegen die Gewalt im Kosovo an. „Sie wurden von der Polizei und Personen bedroht, die sie beschuldigten, ‚albanische Huren‘ zu verteidigen“, erinnert sich Ahmetaj. Bei diesen Frauen habe sie „Trost und Geborgenheit“ gefunden, erinnert sie sich. „Es war eine Zeit der ethnischen Spaltung, aber wir kamen zusammen, um Milosevics Regime zu bekämpfen, obwohl wir oft unterschiedliche Ideologien hatten“, sagte sie. "Frauen aus Bosnien und Serbien haben uns Mut gemacht. Diese Solidarität und Schwesternschaft ging über alle politischen Grenzen hinweg. Dieses Band der aktiven Frauen ist immer noch stark.

Das Buch hebt auch die Stärke und Widerstandsfähigkeit von Aktivistinnen in Post-Konflikt-Gesellschaften hervor und konzentriert sich auf ihre entscheidende Rolle in den Prozessen der Übergangsjustiz. Kristen Schubert, Leiterin des Westbalkan-Programms bei Pro Peace in Deutschland, bezeichnete das Buch als „ein Zeugnis für die außergewöhnliche Kraft von Frauen, Geschichte zu gestalten, Ungerechtigkeit zu bekämpfen und künftige Generationen zu inspirieren, sich für Frieden und Menschenrechte einzusetzen“.

Vesna Terselic hat als Aktivistin eine lange Laufbahn hinter sich, die sie vom Umweltaktivismus in Kroatien bis hin zum Friedensaktivismus und zum Vorsitz der Nichtregierungsorganisation Documenta führte.

Vesna Terselic, 64, schildert ihren Weg von einer Umweltaktivistin in den frühen 1980er Jahren zu einer Friedensaktivistin in Kroatien am Ende dieses Jahrzehnts. Heute ist sie Leiterin der in Zagreb ansässigen Nichtregierungsorganisation Documenta, die Vorkriegs- und Kriegsereignisse erforscht und dokumentiert. Sie sagt, dass ihr Aktivismus durch den Mut anderer Frauen im ehemaligen Jugoslawien inspiriert wurde, die sich trotz schwieriger Umstände weiterhin für den Frieden einsetzten. "Die neunziger Jahre waren sehr düster. Während wir für Gewaltlosigkeit eintraten, befanden sich viele unserer Verwandten und Freunde bereits auf dem Schlachtfeld", sagt sie. "Die meisten Menschen konnten unsere Haltung nicht mit der Notwendigkeit der Verteidigung und des bewaffneten Kampfes vereinbaren, und viele sahen uns als Verräterinnen an.

Für Friedensaktivist*innen wie sie wurde die Kriegsverweigerung aus Gewissensgründen schließlich Teil eines umfassenderen Prozesses der Vergangenheitsbewältigung. „Tatsächlich haben der Antikriegsaktivismus und die Kampagne nie wirklich aufgehört“, so Terselic.

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