Das Friedensprojekt Europa stärken

forumZFD und PAX beim SIPRI-Friedensforum in Stockholm

„Es ist unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft, auf Themen von öffentlichem Interesse aufmerksam zu machen. Und wir sind in der Tat besorgt über den Zustand des Friedens und der Friedensarbeit in Europa“, sagte Oliver Knabe, Vorstandsvorsitzender des forumZFD, zu Beginn der Podiumsdiskussion beim diesjährigen Stockholmer Friedensforum.
Stockholm Peace Meeting
© forumZFD

Das Friedensforum wurde vom internationalen Friedensforschungsinstitut SIPRI ausgerichtet. Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Veranstaltung online statt. In diesem Rahmen luden das forumZFD und PAX zu einer virtuellen Gesprächsrunde ein, die der Frage nachging, wie eine europäische Strategie für erfolgreiche und inklusive Friedensarbeit aussehen könnte. Dabei wurde sowohl über institutionelle Ansätze als auch über Initiativen aus der Zivilgesellschaft und von Bürger*innen diskutiert. Die rund 100 Teilnehmenden kamen hauptsächlich aus den Bereichen Entwicklungshilfe, Friedensarbeit und Sicherheitspolitik.

Zu Beginn wurden vier Szenarien vorgestellt, wie das Friedensprojekt Europa im Jahr 2040 aussehen könnte. Eine Umfrage unter den Teilnehmenden ergab, dass die meisten eher mit Pessimismus in die Zukunft blicken: Eine knappe Mehrheit von 54 Prozent rechnete damit, dass die Europäische Union aufgrund interner Streits in lose Netzwerke zerfallen könnte. Weitere 26 Prozent der Teilnehmenden gaben an, bis zum Jahr 2040 könnte die EU „paranoid android“ werden: In diesem Szenario werden EU-Werte zunehmend missachtet, der Fokus liegt auf militärischer Stärke und Sicherheit hat Vorrang vor bürgerlichen Freiheiten.

Christian Danielsson, Generaldirektor der EU-Kommission für Erweiterung und Nachbarschaft, äußerte sich im Verlauf des Gesprächs jedoch optimistischer. Mit Blick auf die aktuelle Corona-Krise erklärte er, die EU arbeite im Kampf gegen Covid-19 sehr gut mit den Ländern des Westlichen Balkans sowie mit den östlichen Nachbarstaaten zusammen. Zum EU-Westbalkan-Gipfel Anfang Mai sagte Danielsson, aus seiner Sicht sei die Tür „weit geöffnet“ für zukünftige Mitgliedstaaten aus Südosteuropa.

Ein „historischer Fehler“

Ganz anders die Einschätzung von Vladimír Bilčík, Europaparlamentarier aus der konservativen Fraktion EVP (Europäische Volkspartei) und Berichterstatter des EU-Parlaments für Serbien und Montenegro. Er nannte es einen „historischen Fehler“, dass die EU im Oktober 2019 keine Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien aufgenommen hat. Jovana Radosavljevic von der Nichtregierungsorganisation „New Social Initiative“ aus dem Kosovo wiederum erklärte, eine „allgemeine Perspektive“ sei nicht genug. Stattdessen müsse die EU den Verhandlungspartnern Planungssicherheit geben und „ihre eigenen Anstrengungen in der Friedenskonsolidierung erhöhen“.

Radosavljevic kritisierte außerdem populistische Äußerungen von Verantwortlichen in der Region, die die Rolle der EU herunterspielten und auf die geopolitischen Interessen anderer Akteure in der Region setzten. Sie forderte von der EU eine genauere Überwachung der Einschränkungen von Bürgerrechten im Zusammenhang mit der Pandemie. Generaldirektor Danielsson und der Europaparlamentarier Bilčík sagten, seitens der EU gebe es mittlerweile einen klaren politischen Willen, den Prozess der Erweiterung fortzuführen. Beide Referenten appellierten an die politischen Führungskräfte, die Gelegenheit zu ergreifen, Korruption zu bekämpfen und die Verwaltung zu verbessern.

Ganna Bazilo, eine unabhängige Expertin aus der Ukraine, erinnerte das Publikum der Veranstaltung daran, dass die Kapazitäten der EU zur Friedensschaffung und -konsolidierung in der Ukraine in einem aktiven Konflikt gefragt seien – im Gegensatz zu den vielen anderen eingefrorenen Konflikten auf dem Kontinent. Der Expertin zufolge sind eine klare und verständliche Kommunikation sowie eine lokale Perspektive entscheidend für ein erfolgreiches Friedensengagement der EU. Wichtig sei außerdem eine kohärente Strategie gegenüber dem russischen Ansatz, welcher in dem Konflikt sowohl harte als auch weiche Machtmittel einsetze.

Stella Sabiiti, UN-Beraterin beim Netzwerk der Afrikanischen Union für Frauen in Konfliktprävention und Mediation, erinnerte daran, dass die EU ihre Fähigkeit als verlässlicher Partner für den Frieden bereits unter Beweis gestellt habe. So habe die EU die Afrikanische Union darin unterstützt, die Kapazitäten im Bereich Mediation substantiell zu stärken. Gleichzeitig stellte Sabiiti nüchtern fest, die EU habe im Laufe der Zeit ihre Werte vernachlässigt. Sie kommentierte: „Die Europäische Union hat ihren Geist verloren.“

Seitens der Gastgeber appellierte Dion van den Berg, der bei PAX für das Europaprogramm zuständig ist, an die Europäische Union, die Friedensziele wie zum Beispiel „Versöhnung“ zu operationalisieren. Wenn die EU glaubwürdig sein wolle, müsse sie sowohl nach innen als auch nach außen für europäische Werte wie Frieden und Demokratie einstehen.

Oliver Knabe vom forumZFD schlussfolgerte: „Es reicht nicht, wenn die Europäische Union die Regierungen im Westlichen Balkan auffordert, ‚ihre Hausaufgaben zu machen‘. Die EU muss die gesellschaftlichen Bedingungen für eine verantwortungsvolle Führung in Richtung Frieden verstehen und beeinflussen. Dafür braucht es einen Dialog mit der Zivilgesellschaft – und hier kommt der Zivile Friedensdienst ins Spiel.“

„Rettet das Friedensprojekt Europa“

Pax Niederlande und forumZFD aus Deutschland kooperieren beide mit einem breiten Spektrum an zivilgesellschaftlichen Organisationen sowohl im Westlichen Balkan als auch in der Ukraine – und haben die Entwicklung der Europäischen Union als Friedensprojekt kritisch begleitet. Gemeinsam mit weiteren Organisationen haben sie 2019 anlässlich der Europawahl einen Aufruf an das neugewählte Parlament gerichtet und dafür mehr als 23.000 Unterschriften gesammelt. In dem Aufruf forderten sie die Parlamentarier auf, das europäische Friedensprojekt zu retten und bedingungslos für Frieden und Menschenrechte einzutreten.

Zum Aufruf