Köln Marathon calling Bethlehem

Interview mit Mitgliedern der palästinensischen Gruppe „Right to Movement“

Auf Initiative des forumZFD konnten zehn Läuferinnen und Läufer von Right to Movement am 1. Oktober am Köln Marathon teilnehmen und so in Deutschland auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Die Gruppe setzt sich nicht nur für das Recht auf Bewegungsfreiheit für die Menschen in der Westbank und in Gaza ein, sondern auch für das Thema Gleichberechtigung. Im folgenden Interview berichten sie von ihren Eindrücken.
Right to Movement
© Right to Movement

"Wir laufen für unser Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit"

Es war ein toller Marathon in Köln, sind sich Diala Isid, George Zeidan und Rami Khalaf einig. Die Palästinenserin und die zwei Palästinenser sind gemeinsam mit sieben weiteren Läuferinnen und Läufern nach Köln gekommen, um für das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit einzutreten. Denn 42 Kilometer am Stück ohne Checkpoints oder Trennmauer? Das gibt es im Westjordanland nicht.

Diana Hodali: Wie hat sich das angefühlt, einen Marathon in Köln zu laufen und nicht in Bethlehem?

Diala Isid: Wir haben schon an diversen Marathonläufen weltweit teilgenommen, aber dieser Marathon war wirklich einer der Besten. Die Atmosphäre war ganz besonders, die Zuschauer haben uns Energie gegeben, durchzuhalten. Alles war super organisiert, sogar die Verpflegung hat gestimmt.

Rami Khalaf: Das war mein zweiter Marathon, den ersten bin ich in Bethlehem gelaufen. Diese Erfahrung war toll. Die Zuschauer haben uns unterstützt. Mir hat gefallen, dass Eltern ihre Kinder mitbringen, die uns dann auch angefeuert haben. Ich würde gerne wiederkommen.

Diana Hodali: Seit 2012 gibt es die Gruppe „Right to Movement“. Seither gibt es jedes Jahr einen Marathon in Bethlehem. Wie unterscheidet sich der Marathon in Köln von dem in Bethlehem?

George Zeidan: Es ist ein großer Unterschied, ob ich in Bethlehem laufe oder hier. Besonders, wenn es um die Laufstrecke geht: Dort geht es ständig bergauf und bergab – hier gab es keine Steigungen. In Bethlehem muss man die gleiche Strecke vier Mal laufen, um einen ganzen Marathon zu absolvieren. Es gibt keine 42 km am Stück, ohne auf die Trennmauer oder israelische Checkpoints zu stoßen. Es ist hart, die Ziellinie zu erreichen und wieder neu starten zu müssen.

Wir laufen wegen des Sportgedankens, aber wir haben auch eine Botschaft. Der Lauf in Deutschland war inspirierend. Die ganze Gesellschaft – von den Kindern zu den Älteren – ist hier involviert. Ich habe die palästinensische Flagge heute bei mir getragen, und ich war so erstaunt zu sehen, wie viel Bewusstsein bezüglich des Konflikts besteht. Ich habe während des Laufs so viel Zuspruch erhalten, wenn die Leute die Flagge in meiner Hand erkannt haben. Es geht uns ja nicht darum, diesen Marathon zu nutzen, um Aufmerksamkeit für den Konflikt zu erhalten. Es gibt dieses Bewusstsein bereits in Deutschland. Viele haben uns „Palästina, Palästina“ zugerufen. Manchmal habe ich die Flagge sogar weg gesteckt, damit ich einige Minuten konzentriert und nur für mich laufen konnte. (lacht)

Die Gruppe Right to Movement setzt sich für alle Formen des Rechts auf Bewegungsfreiheit ein. Dazu gehören auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen.

Diana Hodali: Aber ihr lauft hier natürlich auch für eine Sache. In Bethlehem ist das Laufen an sich schon die Sache aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, oder?

Diala Isid: Wenn wir außerhalb Bethlehems laufen, dann können wir uns frei bewegen – in jeder Hinsicht. Wenn wir dort laufen, dann sehen wir die Trennmauer, die Checkpoints, die illegalen israelischen Siedlungen. Wenn wir hier laufen, dann kann man überallhin laufen, völlig frei, so weit man will. Keiner hält dich auf. Wir sind hier natürlich auch für eine Sache gelaufen: Unsere Gruppe heißt „Right to Movement“ und wir laufen für unser Recht auf Bewegungsfreiheit. Wir wollen auf die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Palästinenserinnen und Palästinensern aufmerksam machen, die uns durch die israelische Besatzung auferlegt ist. Wir laufen auch, um palästinensische Frauen zu motivieren, sich anzuschließen und öffentlich den Sport auszuüben, den sie möchten.

Im Jahr 2016 verzeichnete der Bethlehem Marathon eine Rekordzahl von rund 4.400 Teilnehmenden, darunter auch viele internationale Laufbegeisterte. Aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit konnten über 100 Läuferinnen und Läufer aus dem Gazastreifen jedoch nicht teilnehmen.

Diana Hodali: Erhaltet ihr viel Aufmerksamkeit für eure Anliegen?

Diala Isid: Ich denke schon. In allen Marathonläufen lernen wir Leute kennen, mit denen wir sprechen und die darüber berichten. Und die Leute sind begeistert und finden diesen Ansatz sehr gut und unterstützen uns.

Diana Hodali: Kommt ihr mit einer bestimmten Botschaft nach Deutschland?

George Zeidan: Deutschland leistet viel Unterstützung in Palästina, das ist großartig. Ich denke, die Deutschen sind sich der Situation bei uns auch bewusst. Ich denke nicht, dass wir hier eine andere Botschaft haben als in anderen Ländern: Wir sind im Kontakt mit den Menschen und nicht auf politischer Ebene unterwegs. Um das zu machen, was wir machen wollen, brauchen wir nur Laufschuhe. Wenn jemand nach Bethlehem kommt, dann wird er verstehen, was es bedeutet, so zu leben wie Menschen in Palästina. Wir sind aber auch hier, um positive Geschichten über Palästina zu erzählen. Wir wollen zeigen, dass Männer und Frauen gemeinsam etwas ändern können in Bezug auf die Besatzung, aber auch auf die gesellschaftliche Situation von Frauen in unserer Heimat.

Diana Hodali: Ihr repräsentiert Palästina – aber eben nicht als politische Gruppe.

George Zeidan: Palästina ist so viel mehr als nur der Konflikt - geschichtlich, kulturell, das Essen. Wir erzählen den Menschen, denen wir begegnen, davon, freuen uns auch, wenn sie uns in Bethlehem besuchen. Es gibt so viel zu sehen, und man versteht dann aber eben auch die Situation.

Diana Hodali: Sie haben eben schon über die Laufstrecke in Bethlehem erzählt. Könnten sie erzählen, welche Hindernisse sie noch überwinden müssen?

Rami Khalaf: Die Leute fragen uns oft, ob es wirklich einen Marathon in Palästina gibt. Und dann versuchen wir zu erklären, wie es ist, dort zu laufen. Wie gesagt: Es gibt keine 42 km am Stück, die man dort laufen kann. Es gibt Checkpoints, manchmal auch sogenannte ‚flying checkpoints‘, also solche, mit denen man nicht rechnet. Dazu kommt, dass einem das Gefühl von Sicherheit fehlt. Im Hinterkopf hat man immer, dass vielleicht doch etwas dazwischenkommt.

Diala Isid: Der Marathon steht für das alltägliche Leben von PalästinenserInnen. Wir starten an der Geburtskirche in Bethlehem in Richtung Jerusalem, dann kommen wir an einen Checkpoint, müssen abbiegen und durch zwei Flüchtlingslager laufen. Dann laufen wir in einen kleinen Ort namens „Alkhader“ und kommen wieder zurück. Wenn wir also in unserem alltäglichen Leben zum Beispiel von Bethlehem nach Ramallah wollen, dann müssen wir an diesen Checkpoints vorbei, und wir können einfach durch israelische Soldaten angehalten werden.

Diana Hodali: 63 Nationen waren bereits beim Bethlehem Marathon vertreten. Wie reagieren die Menschen von außerhalb, wenn sie in Bethlehem mitlaufen?

George Zeidan: Das kommt wirklich drauf an. Ich sage es mal so: Die Leute, die kommen, erfahren etwas Außergewöhnliches, Exotisches. Man lernt viel. Zum einen laufen sie einen palästinensischen Marathon. Zum anderen ist es eben kein normaler Lauf. Aber sie werden immer herzlich willkommen geheißen, weil man sich in Palästina darüber freut, wenn auch Menschen aus dem Ausland mitlaufen.

Die Trennmauer zwischen Israel und dem Westjordanland ist Alltag für die Menschen in Bethlehem und begrenzt die längste zusammenhängende Laufstrecke auf knapp mehr als 10 Kilometer.

Diana Hodali: Hattet ihr Schwierigkeiten, nun eurerseits an einem Marathon im Ausland teilzunehmen?

Rami Khalaf: Ich war so froh, dass ich überhaupt ein Visum erhalten habe. Unsere Freunde in Gaza haben zwar ein Visum aus Deutschland bekommen, hatten aber keine Ausreiseerlaubnis aus Gaza von den israelischen Behörden erhalten. Ich bin das erste Mal außerhalb Bethlehems bei einem Marathon dabei. Und dann auch noch bei einem so großen Event – ich bin beeindruckt. Ich hätte aber gerne meine Laufkollegen aus Gaza dabei gehabt. Die Gruppe, die hier ist, ist sehr gemischt – Palästinenser und Palästinenserinnen aus Bethlehem, Ramallah, Jerusalem, Haifa. Palästinenser und Palästinenserinnen aus Gaza konnten leider nicht kommen.

George Zeidan: Wir wollen das ganze palästinensische Volk repräsentieren. Das Visum haben sie (die Läufer und Läuferinnen aus Gaza, d. Red.) erhalten, aber die Ausreisegenehmigung eben nicht. Man hat uns dann wissen lassen, dass es weitere 70 Tage dauern würde. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert. Und unsere Freunde in Gaza hoffen, dass sie irgendwann einmal zu einem Lauf ins Ausland können. Unter ihnen ist auch ein 16-jähriges Mädchen, das in Gaza trainiert. Sie hat die volle Unterstützung ihrer Eltern. Das muss man sich so vorstellen: Sie läuft vorneweg und ihre Familie fährt im Auto hinter ihr her, um sie zu unterstützen, um auch der Gesellschaft zu zeigen, dass sie hinter ihrem Sport stehen, aber auch, um sie zu schützen. Ich habe bereits mit ihr in Gaza trainiert. Ich wünschte, wir könnten sie aus Gaza mitnehmen. Ich habe schon fast die Hoffnung verloren, aber die Läuferinnen im Gazastreifen geben die Hoffnung nicht auf.

Diana Hodali: Welche Eindrücke nehmt ihr jetzt mit nach Hause?

Diala Isid: Ich bin hier meine persönliche Bestzeit gelaufen, ich fand die Strecke toll. Und außerdem war ich total gerührt davon, dass uns so viele Menschen unterstützt haben. Die Leute sind gekommen, um Sportler zu unterstützen. Das hat mir gut gefallen.

George Zeidan: Auch ich bin meine Bestzeit gelaufen. Ich liebe die Deutschen, und ich weiß es sehr zu schätzen, dass sich viele von ihnen für Palästina interessieren. Ich habe eine Weile in den USA gelebt, und dort habe ich das nicht immer gefühlt. Oft wussten sie nicht, wovon ich spreche. Das ist in Deutschland anders. Sie sind interessiert, hören zu und reisen auch nach Palästina.

Rami Khalaf: Ich schließe mich an. Es war auch meine Bestzeit. In Palästina gibt es immer mehr Menschen, die das Laufen für sich entdecken. Aber was mir in Deutschland wirklich gut gefallen hat, war, dass Kinder schon so früh mit diesem Sport in Berührung kommen. Das wünsche ich mir auch für uns. Außerdem waren die Leute, denen wir begegnet sind, an anderen Geschichten – jenseits der Nachrichten – interessiert. Ich würde jeden meiner Landsleute immer dazu ermutigen, beim nächsten Marathon in Köln mit zulaufen.

 

Right to Movement

Diala Isid, Georg Zeidan und Rami Khalaf sind Teil des palästinensischen Netzwerks „Right to Movement“, das von 2012 bis 2016 in Bethlehem einmal jährlich einen Marathon veranstaltete. Bethlehem steht sinnbildlich für die Begrenzung von Mobilität. Weitläufig durchzogen von einer acht Meter hohen Mauer, umgeben von Siedlungen und militärisch verwalteten Zonen entspricht die längste zusammenhängende Laufstrecke innerhalb der Stadtgrenzen nur ca. 10,5 Kilometern – einem Viertel Marathon. Getreu ihrem Motto: „We run to tell a different story“, gestaltet Right to Movement den zur Verfügung stehenden Spielraum mit witzigen und provokanten, informativen und mobilisierenden Aktionen im sportlichen Dauerlauf. Sie sind Preisträger des Peace and Sport Award.

www.righttomovement.org