
Von einer stabilen und gerechten Friedensordnung ist die Welt gegenwärtig weit entfernt. Die Kriege etwa im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika fordern Tausende Opfer und zwingen Menschen zur Flucht. Die gemeinsame Sorge für den Frieden auf dem Wege der internationalen Zusammenarbeit – beispielsweise in den Vereinten Nationen (UN) – wird von Konflikten überschattet. Von Deutschland und der Europäischen Union sind deshalb verstärkte Anstrengungen nötig, um Frieden in der Welt herzustellen und zu erhalten.
2017 war ein Jahr der Krisen und eskalierenden Konflikte: Der Krieg in Syrien wird mit immer größerer Härte geführt, er zieht die Nachbarländer in Mitleidenschaft, und Staaten und nichtstaatliche Gruppen sind über Grenzen hinweg beteiligt. Die völkerrechtswidrige Intervention der Türkei in Afrin ist dafür nur das jüngste Beispiel. Bürgerkriege halten in Ländern wie dem Jemen, Afghanistan, Mali, Somalia, Südsudan oder dem Kongo unvermindert an. Trotz einiger Zeichen der Annäherung schwelt auch der Konflikt zwischen den USA und Nordkorea weiter. Gleichzeitig droht das Abkommen über die friedliche Nutzung von Kernenergie, das die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und Deutschland mit dem Iran erfolgreich geschlossen haben, unter dem Druck der neuen US-Administration zu zerbrechen. In der derzeit gefährlichsten Konfliktregion Naher und Mittlerer Osten, aber nicht nur dort, ist der UN-Sicherheitsrat durch die Konfrontation zwischen dem Westen und Russland blockiert. Vor diesem Hintergrund ist es nötig, dass Deutschland seine Friedenspolitik neu justiert und entschlossen umsetzt.
Europäische Friedensordnung in der Sackgasse
Die sicherheitspolitische Lage in Europa bleibt angespannt: Russland macht wenig Anstalten, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim oder die Unterstützung der Separatisten im Osten der Ukraine zu revidieren. Von den Grundprinzipien der Charta der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von Paris (1990) hat sich Russland immer weiter entfernt. Präsident Erdogan höhlt in der Türkei die Gewaltenteilung aus und greift massiv in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Auch in Ungarn oder Polen, wenn auch in geringerem Maße, gerät die liberale Demokratie unter Druck. Diese Staaten verletzen damit die Europäische Menschenrechtscharta und geltende EU-Verträge.
Aus einem schwierigen Miteinander ist ein Gegeneinander geworden. Dies zeigt sich in der Schwächung gemeinsamer Institutionen: OSZE und Europarat sind im Bereich der Menschenrechts- und Demokratieförderung immer weniger handlungsfähig. Die OSZE ist zwar bei der Sicherheitsvorsorge im Aufwind, insbesondere durch ihre Aufgabe in der Ostukraine, aber sie kann den erstarkenden Spannungen zwischen EU und NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite nur wenig entgegensetzen. Der Aufbau von Verteidigungskapazitäten bei EU und NATO findet statt, ohne dass die Auswirkungen auf die gesamteuropäische Friedensordnung mitgedacht werden. Dies macht eine entschlossene Dialoginitiative im Rahmen der OSZE notwendig. Zu fundamental sind die Differenzen, als dass die 2010 in Astana formulierte Vision einer „euroatlantischen und eurasischen Sicherheitsgemeinschaft“ in naher Zukunft erreichbar ist. Zunächst muss das Eskalations- und Konfliktniveau gesenkt werden und die pragmatische Kooperation dort beginnen, wo gemeinsame Interessen vorliegen, um auf lange Sicht wieder grundlegende Fragen europäischer Sicherheit und Ordnung adressieren zu können. Wir plädieren für einen Aushandlungsprozess mit langem Atem, der jetzt hilft, Krisen zu deeskalieren, und der gleichzeitig Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte als Elemente einer Friedensordnung wieder stärken soll. Die Entspannungspolitik in Zeiten des Ost-West-Konflikts setzte darauf, gemeinsame Sicherheitsinteressen zu betonen. Fortschritte bei den Menschenrechten und Grundfreiheiten, bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wurden durch den Anreiz wirtschaftlicher Kooperation erzielt. Analog ließen sich auch heute mit Blick auf Staaten jenseits der EU konkrete Visa- und Handelserleichterungen sowie belastbare Perspektiven auf Assoziierung eröffnen, die mit substanziellen Finanzhilfen versehen werden, um soziale Unwuchten aufzufangen.
Die EU hält im Gegensatz zu US-Präsident Trump bislang am Iran-Abkommen aus dem Jahr 2015 fest. Das empfehlen auch die Friedensforscherinnen und -forscher in ihrem Gutachten.
Atomwaffenverbot unterstützen
Der Beschluss von 122 UN-Mitgliedern für ein vollständiges Atomwaffenverbot vom 7. Juli 2017 ist ein klares Votum für eine tiefgreifende nukleare Abrüstung. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) unterstreicht den weltweiten Wunsch, den Einsatz von Nuklearwaffen zu verhindern und diese Waffenkategorie zu ächten. Erstmals liegt damit ein internationales Abkommen vor, das den Besitz, die Stationierung und den Einsatz von Kernwaffen verbietet. Der Ban Treaty sieht vor, die bestehenden Kernwaffenarsenale inklusive der militärrelevanten Produktionsanlagen vollständig zu eliminieren. Er wurde mittlerweile von 58 Staaten unterzeichnet und bereits von 9 Staaten ratifiziert (Stand Mai 2018) und wird 90 Tage nach der Ratifizierung durch 50 Staaten in Kraft treten.
Die Bundesregierung lehnt den Vertrag ab, da die nukleare Abschreckung Russlands die Stationierung US-amerikanischer Kernwaffen in Deutschland erfordere. Dies läuft dem Bemühen entgegen, das unersetzliche INF-Abkommen von 1987 zu bewahren, das die Abschaffung aller US-amerikanischen und russischen landgestützten, nuklearen Mittelstreckenwaffen zum Gegenstand hat. Mit der Entwicklung kleinerer, „flexibler“ einsetzbarer Sprengköpfe entfernen sich die USA vom Ziel einer atomwaffenfreien Welt, für dessen Ankündigung dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama 2009 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. In seiner Rede am 1. März 2018 stellte Präsident Putin wiederum neue nukleare Trägersysteme vor, die ebenfalls die nukleare Rüstungskontrolle untergraben können.
Langfristig lässt sich die Teilhabe Deutschlands an den Nuklearwaffen der USA nicht mit dem Geist seiner Verpflichtung vereinbaren, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Das gilt erst recht für eine Modernisierung der US-Nuklearwaffen oder gar weitere Stationierungen auf deutschem Boden. Deutschland sollte Verhandlungen mit den USA führen, um den Abzug dieser Waffen zu erwirken.
Rüstungsexporte endlich restriktiv ausrichten
Die deutsche Rüstungsexportpolitik ist weder restriktiv noch friedenspolitisch sinnvoll. Waffenexporte an Staaten wie Saudi-Arabien oder Ägypten, die im Jemen massiv das humanitäre Völkerrecht verletzen, stehen im Widerspruch zum Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty) und zum Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten. Deutschland unterläuft, wie auch andere EU-Mitglieder, mit seinen Rüstungsexporten an diese Staaten die selbst gesetzten Standards.
Die Bundesregierung genehmigte 2017 Rüstungsexporte im Wert von 6,2 Mrd. €, 61 % davon an Drittstaaten außerhalb der NATO und der EU. Darunter sind zahlreiche problematische Empfängerstaaten. Besonders besorgniserregend sind die hohen Genehmigungsraten für Saudi-Arabien. Dessen Luftangriffe im Jemenkrieg treffen viele zivile Einrichtungen. Die von Riad organisierte völkerrechtswidrige Seeblockade trägt maßgeblich zur humanitären Katastrophe bei. Die im März 2018 im Koalitionsvertrag festgehaltene Aussage, dass die Bundesregierung keine Rüstungsexporte in Länder genehmigen werde, solange diese unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind, führte die Ausfuhrgenehmigung für acht Patrouillenboote für Saudi-Arabien kurz vor Amtsantritt der neuen Großen Koalition ad absurdum.
Deutschland liegt auch bei Kleinwaffenexporten weltweit in der Spitzengruppe. Ob diese Waffen beim Empfängerstaat verbleiben, ist besonders schwer zu kontrollieren; und sie dienen Kriegsparteien in besonderem Maße dazu, Waffenstillstandsabkommen zu torpedieren. Laut Koalitionsvertrag sollen Kleinwaffen grundsätzlich nicht mehr an Drittstaaten geliefert werden. Das begrüßen wir. Allerdings sieht die Bundesregierung Ausnahmen vor.
Um die politischen Hürden möglichst hoch zu legen, fordern wir, dass die Bundesregierung derartige Ausnahmen explizit begründet und im Bundestag zur Debatte stellt. Selbst nach dem Einmarsch der türkischen Armee in Afrin, u. a. mit Leopard-Panzern aus deutscher Produktion, genehmigte die Bundesregierung Rüstungsgüter für die Türkei im Wert von knapp 4,4 Mio. €. Dies ist angesichts der völkerrechtswidrigen Intervention nicht vertretbar. Die Bundesregierung sollte ein restriktives Kontrollgesetz vorlegen, das Rüstungsexporte von dem Nachweis abhängig macht, mit Blick auf die Verletzung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht unbedenklich zu sein. Unverzüglich muss sie bereits jetzt alle erteilten Genehmigungen für Rüstungsexporte an die Staaten, die im Jemen Krieg führen, widerrufen. Auch der NATO-Partner Türkei darf keine Rüstungsgüter erhalten, solange die Armee Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Nachbarschaft oder im eigenen Land führt.
Friedenspolitische Herausforderungen: Flucht und Migration
Obwohl die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland deutlich zurückgegangen ist, bleiben Flucht und Migration zentrale Herausforderungen. Denn Konflikte um die Flüchtlingspolitik bedrohen den gesellschaftlichen Frieden: Fremdenfeindliche Gewalt hat im Zuge des dramatischen Fluchtgeschehens drastisch zugenommen. Abwertende und feindselige Einstellungen gegenüber Minderheiten nehmen zu. Islamfeindlichkeit ist auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft hoffähig geworden und erschwert die Integration von Flüchtlingen und Migranten. Dabei spielt ein Argument eine wichtige Rolle, das wir besonders kritisch sehen: Flüchtlinge und Migranten würden die Gefahr des Terrorismus erhöhen.
Abgesehen davon, dass damit eine Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht gestellt und Ressentiments gegenüber Fremden geschürt werden, ist die These unhaltbar. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass gewaltbereite Kämpfer als Flüchtlinge getarnt nach Europa gelangen, spielt Flucht im Vergleich zu anderen Faktoren eine untergeordnete Rolle für die Entstehung von Terrorismus. Die überwiegende Zahl derjenigen, die sich an Terroranschlägen in Europa beteiligt haben, sind Bürger europäischer Staaten in zweiter oder dritter Generation. Gründe für ihre Radikalisierung müssen in ihren Lebensbedingungen, Zukunftsperspektiven und Beteiligungsmöglichkeiten in den europäischen Gesellschaften selbst gesucht werden. Um der Radikalisierung von Flüchtlingen vorzubeugen, müssen die Integrationsanstrengungen verstärkt, ein Einwanderungsgesetz verabschiedet und der Familiennachzug erleichtert werden. Diskriminierung, Ausgrenzung und Erniedrigung sind Faktoren, die Radikalisierung befördern. Anerkennung und Wertschätzung können dem entgegenwirken. Familiäre, gemeinschaftliche und gesellschaftliche Strukturen können das Abdriften junger Männer in den Extremismus verhindern. Ein erleichterter Familiennachzug, auch für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz, ist nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch sicherheitspolitisch geboten.