(Anti-)Rassismus in der Friedens- und Entwicklungsarbeit

Aktionstagung 2021 von Pro Peace

Gibt es eine ‚weiße‘ Vorstellung von Frieden und Entwicklung? Wie wirkt das koloniale Erbe in Friedens- und Entwicklungsprojekten bis heute nach? Und wie können wir alle dazu beitragen, rassistische Strukturen und Denkmuster zu überwinden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Aktionstagung 2021 von Pro Peace. Clara Witte und Emilia Ewald, die zurzeit bei Pro Peace ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, schildern ihre persönlichen Eindrücke von dem Wochenende.
Gruppenfoto Aktionstagung 2021 Antirassismus
© Pro Peace

Kurz bevor im November wieder zahlreiche Veranstaltungen wegen zu hoher Inzidenzen abgesagt werden mussten, konnten wir am letzten Oktoberwochenende zum Glück noch unsere Aktionstagung als echte Präsenzveranstaltung im AZK Königswinter durchführen. Nachdem wir uns bereits mehrere Wochen um die Vorbereitungen zur diesjährigen Aktionstagung gekümmert hatten, waren wir doch sehr gespannt, was uns nun erwarten würde.

Rund 40 Teilnehmer*innen hatten sich für das Wochenende zum Thema „Antirassismus in der Friedens- und Entwicklungsarbeit“ angemeldet. Und das Programm war randvoll gepackt mit spannenden Impulsen, Diskussionen und Workshops mit externen Referent*innen.

Im Zentrum der Tagung standen Fragen nach dem kolonialen Erbe in Friedens- und Entwicklungsprojekten und wie wir alle dazu beitragen können, rassistische Strukturen und Denkmuster – auch innerhalb unseres eigenen Friedensengagements – zu überwinden. Bei der Tagung sollten ganz konkret auch diejenigen angesprochen werden, die selbst politisch aktiv sind – zum Beispiel in der Projektarbeit in Ländern des Globalen Südens. Die Rolle der „weißen Retter“, also der weißen, privilegierten Personen, die in der Friedens- und Entwicklungsarbeit aktiv sind, sollte unter die Lupe genommen werden. Diese Kombination der Themen war für uns beide sehr spannend.

© Pro Peace

Da wir erst seit Kurzem bei Pro Peace arbeiten und zuvor noch nicht viele Berührungspunkte mit Friedensarbeit oder Antirassismus hatten, war die Aktionstagung für uns sehr interessant und hat uns viele Denkanstöße mit auf den Weg gegeben. Gerade junge Menschen, für die ein Auslandsaufenthalt in der Entwicklungszusammenarbeit als „Gap Year“ ein Thema ist oder war, sollten sich umso mehr mit kolonialen Kontinuitäten und dem Mythos des „weißen Retters“ auseinandersetzen.

Mit ihrem Impulsvortrag zu genau diesem Thema gestaltete Marianne Pötter-Jantzen, Referentin für Campaining bei Misereor, den Einstieg ins Thema der Aktionstagung. Sie berichtete sehr anschaulich und eindrücklich von eigenen Erfahrungen, sowohl mit Rassismus im Alltag als auch von den strukturellen Herausforderungen ihrer Organisation, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist. Ihre persönlichen Erlebnisse und die vielen Beispiele, verbunden mit der jahrelangen Erfahrung durch die Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit, waren sehr bewegend für uns beide.

Spannend waren auch die Einblicke in den rassismuskritischen Organisationsentwicklungsprozess von Pro Peace, die Dominique Pannke und Oliver Knabe den Teilnehmenden gaben. Auch für uns Mitarbeitende einer deutschen Organisation, die Friedensberater*innen ins Ausland schickt, ist es notwendig, strukturell verankerte Rassismen zu erkennen und sich damit als Gesamtorganisation auseinanderzusetzen.

Viele der Themen, die über das Wochenende behandelt und diskutiert wurden, waren für uns beide nicht grundsätzlich neu, allerdings konnten wir über verschiedene Workshops, Vorträge und Diskussionen hinweg viele neue Impulse gewinnen, insbesondere was die kritische Reflektion der eigenen Rolle betrifft. Wertvoll war dabei vor allem der Austausch mit den anderen Teilnehmenden der Aktionstagung, von denen sich viele schon seit mehreren Jahren, oder sogar Jahrzehnten, mit der Thematik beschäftigen. Gerade dadurch, dass die Gruppe in ihrem Alter so gemischt war und viele der Personen schon lange in der Friedens- bzw. Entwicklungsarbeit tätig sind, studieren oder sich antirassistisch engagieren, konnten wir durch Diskussionen im Plenum oder in gemütlicher Runde am Tisch viel dazulernen.

© Pro Peace

Wir beide haben vor allem mitgenommen, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Personen außerhalb der eigenen „Bubble“ ist, also mit Personen die z.B. einer anderen Generation angehören oder eine andere (politische) Meinung vertreten, um neue Perspektiven und Aspekte zu entdecken.

Am Samstag nahmen wir an zwei Workshops von Diversity-Trainer Lawrence Oduro-Sarpong zu Critical Whiteness und Allyship teil. „Kritisches Weißsein“ und „Allyship“, für einige klingt das erstmal neu und fremd. Es geht darum, wie wir uns kritisch mit unserer Position als weiße Person auseinandersetzen und wie wir gute Verbündete von BIPoC sein können.

Lawrence hat uns in seinen Workshops mit vielen Beispielen und auch etwas „schonungslos“ aufgezeigt, wie einseitig und kolonial geprägt unsere „weiße“ Perspektive oft ist. Zum Beispiel wenn es um Narrative oder Formulierungen geht, die die Länder des Globalen Südens betreffen. Beispielhaft dafür ist die in Teilen bis heute so genannte „Entdeckung“ Amerikas und der dort lebenden Bevölkerung, die aufgrund von Kolumbus‘ Irrtum fälschlicherweise „Indianer“ genannt wurde. Der Irrtum ist lange bekannt, dennoch halten Europäer*innen lieber an ihrer eigenen, obwohl falschen Bezeichnung fest, anstatt die Selbstbezeichnung der Bevölkerungsgruppen zu akzeptieren. Stellt man sich dieses Szenario genau umgekehrt vor, also Personen aus Lateinamerika, die Europa „entdeckten“ und mit derselben Arroganz vorgehen, hat das viele Lerneffekte über eigene und globale rassistische Denkweisen und Machtstrukturen zur Folge.

© Pro Peace

Des Weiteren war es sehr eindrücklich, sich bewusst zu machen, welche Privilegien wir als weiße Person innehaben und wie wichtig es auch ist, diese immer wieder zu reflektieren, das eigene Denken und Handeln zu dekolonisieren und antirassistisch zu gestalten. Dabei hat uns die intensive Beschäftigung mit den Wurzeln von Rassismus und Kolonialismus geholfen. Wie wir lernen durften, müssen wir nämlich, um das Konstrukt Rassismus zu dekonstruieren, zunächst einmal wissen, wie es aufgebaut ist und woraus es besteht.

Der Workshop hat uns auch für die Zukunft starke Impulse gegeben, uns immer und immer wieder mit Rassismus auseinanderzusetzen und uns darüber zu informieren und zu bilden, um ihn auf allen Ebenen besser zu erkennen und zu bekämpfen.

Alles in allem hat uns das Wochenende sowohl persönlich als auch in unserer Arbeit als Freiwillige bei Pro Peace inspiriert und weitergebracht. Klar ist, dass uns die Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus weiter begleiten wird und muss. Wir sind motiviert, gemeinsam mit Betroffenen Veränderung in unserer Gesellschaft zu bewirken!

 

© Pro Peace

Clara Witte und Emilia Ewald absolvieren ihr Freiwilliges Soziales Jahr im politischen Leben (FSJ-P) in der Geschäftsstelle von Pro Peace in Köln. Von August 2021 bis August 2022 unterstützen sie das Team Kommunikation und Politik mit den Schwerpunkten Öffentlichkeitsarbeit bzw. Friedensläufe und Friedensbildung an Schulen.

Dank an unsere Förderer:

© SUE NRW / Brot für die Welt