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„Kraft der Musik ist Medizin“

Interview mit der israelischen Band Orphaned Land

Heavy Metal und Frieden passen für die meisten Menschen nicht zusammen. Die israelische Band Orphaned Land (zu deutsch: Verwaistes Land) sieht das anders und besingt in ihren Liedern den Frieden zwischen Moslems und Juden, Israelis und Palästinensern. Mit ihrer Musik konnte sich die Musikgruppe auch im arabischen Raum eine feste Anhängerschaft erspielen. Richard Klasen sprach mit Sänger Kobi Farhi.
Die Band Orphaned Land hat sich um ihren auf einen Thron sitzenden Sänger Kobi Fahrhi versammelt.
© Century Media

Viele unserer Leserinnen und Leser werden sich über die Verbindung von Heavy Metal und Frieden wundern.

Ich bin in Jaffa aufgewachsen. Dort leben Juden, Muslime, Christen und Atheisten. Es gab immer eine gute Koexistenz. Man grüßte sich an den Feiertagen des anderen. Mir wurde als Kind immer gesagt, dass ich in der Stadt mit den meisten Feiertagen auf der Welt leben würde. Das war großartig.
Ich nahm also diesen Zauber meiner Kindheit und verband ihn mit Heavy Metal, einem ehrlichen und gradlinigen Musikstil. Heavy Metal-Anhänger sehen vielleicht gewalttätig aus: Sie tragen meistens schwarze Klamotten. Krieg und Gewalt sind Themen auf den Titelbildern vieler CDs. Aber es ist eine sehr friedliche Musikszene: Ich habe nie von Gewalt auf Konzerten gehört. Wenn man aus einer Gegend kommt, wo Kriege und Konflikte Alltag sind, ist das sehr anziehend.

Wann haben Sie das erste Mal realisiert, dass Sie auch Fans aus dem arabischen Raum haben?

Das war 2001. Ich bekam eines Abends eine E-Mail. Ich sah, dass der Absender einen arabischen Namen trug und dass eine Datei angehängt war. Meine erste Reaktion war: ein Virus. Dann las ich ein paar Worte: „Hallo Kobi, ich bin ein Palästinenser, der in Jordanien lebt. Ich bin ein Fan Deiner Band. Bitte sieh Dir das Video an.“ Ich öffnete also die Datei. Im Hintergrund hörte ich unsere Musik. Ich sah zunächst nur einen Hemdsärmel. Der Typ zog den Ärmel hoch und ich sah, dass er eine Tätowierung von Orphaned Land auf seinem Arm trug. Das war sehr bizarr für mich und ein Moment, der mein Leben veränderte: Wie kann ein Palästinenser die Tätowierung einer israelischen Band tragen? Eine Tätowierung ist ja für immer. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass die Kraft der Musik eine Medizin für unsere Gegend sein kann.

Das klingt für viele sicherlich naiv.

Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht mehr daran, dass Musik die Welt verändern kann.  Aber Musik ist ein guter Anlass, miteinander ins Gespräch zu kommen. Nehmen wir einen muslimischen Araber und einen israelischen Siedler: Beide mögen Pink Floyd oder Rammstein. Obwohl ihre politischen Einstellungen vollkommen unterschiedlich sind, kommen sie über die Musik ins Gespräch. Und dieses Gespräch wird etwas in ihnen bewegen. Denn wenn Du einen Feind hast, glaubst du, dass der Feind alles repräsentiert, was du nicht bist. Aber ich zeige den Beiden: Ihr habt etwas gemeinsam. Sie erkennen im anderen menschliche Wesen.

Schau' nach Europa: Ihr habt euch jahrhundertelang gegenseitig umgebracht. Millionen mussten sterben. Aber heute lebt ihr in Frieden miteinander und habt eure Grenzen geöffnet. Das gibt mir Hoffnung: Dass die Völker des Nahen Ostens sich eines Tages an Europa orientieren und das Gleiche machen.

Auch in Deutschland spüren wir eine steigende Polarisierung...

Ja, ich habe davon gelesen. Ich denke, Deutschland ist ein tolles Land: Ihr nehmt die Flüchtlinge auf. Keiner der Golf-Staaten nimmt Flüchtlinge auf. Warum nimmt Saudi-Arabien keine Flüchtlinge auf? Sie könnten viele aufnehmen. Es geht doch um ihre arabischen Brüder. Ich denke, auch Israel sollte Flüchtlinge aufnehmen. Israel ist ein kleines Land, wir können nicht alle aufnehmen, aber einige sollten zu uns kommen.

Sie waren Wehrdienstleistender in der Armee. Ich hörte, dass Sie da Ärger hatten.

Ich war ein Mechaniker, der Panzer repariert hat. Im ersten Jahr war ich ein guter Soldat: Ich wollte dem Land dienen, weil ich mein Land liebe. Eines Tages haben wir dann einen Plattenvertrag bekommen. Um das erste Album aufnehmen zu können, musste ich die Armee für zwei Wochen verlassen. Die Regel für Soldaten lautet aber: Nach vier Monaten Dienst kannst du eine Woche Urlaub nehmen. Ich wollte den Urlaub von acht Monaten auf einmal für zwei Wochen nehmen. Mein Kommandeur wollte das nicht: Ich sei Eigentum der Armee. Also musste ich davon rennen. Nachdem ich das Album aufgenommen hatte, ging ich zurück und wurde wegen Fahnenflucht zu einem Monat Haft verurteilt. Heute würde ich sagen, dass ich meinem Land mehr mit meiner Musik diene, als indem ich Panzer repariere.

Ich habe auch gehört, dass ihre Band von der Boycott-Divestment-Sanctions-Kampagne, einem Boykottaufruf gegen Israel, betroffen war?

Ja. Ich bin gegen Boykotte. Künstler und Musiker sollten immer auftreten können. Ich denke, es ist eine große Sünde, Kunst politisch zu missbrauchen. Die Menschen brauchen Musik, ganz besonders im Nahen Osten. Ich denke, die Künstler, die den Boykott unterstützen, sollten lieber zu uns kommen und spielen und so in den Dialog treten. Einer der Köpfe des Boykotts ist Roger Waters von Pink Floyd. Er hat mit seinem Boykott nichts erreicht. Obwohl wir viel kleiner als Roger Waters sind, haben wir mehr erreicht: mehr Verständnis, mehr Dialog, mehr Kommunikation, mehr Respekt, mehr Freundschaft zwischen ehemaligen Feinden.

Der Titel Ihres letzten Album ist „All in One“, alles in einem. Viele Ihrer Texte beinhalten die Idee einer Einheit von Christentum, Islam und Judentum. Vor diesem Hintergrund habe ich mich gefragt, ob Sie eher ein Anhänger der Ein- oder der Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina sind.

Ich glaube nicht, dass die Frage nach einer Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung eine Veränderung bringt: Unser Bildungssystem ist falsch! Stell dir vor, man würde unterrichten, dass das Töten von Menschen falsch ist. Stell dir vor, unsere ersten Spielzeuge wären keine Spielzeuggewehre. Stell Dir vor, wir müssten in unseren Computerspielen keine Menschen töten, um das nächste Level zu erreichen. Das ist eine sehr negative Energie, die in unsere Gehirne dringt.
Zur Zeit des Holocausts gab es einen inspirierenden Mann namens Janusz Korczak. Er war der Gründer eines Waisenhauses. Er hat gesagt: Der, der die Welt verändern will, muss die Erziehung ändern. Wir müssen uns gegenseitig respektieren, lieben und verstehen. Korczak ging mit seinen Kindern in das Konzentrationslager und starb mit seinen Schülern. Für mich ist Korczak ein Heiliger. Wegen seiner Ansichten zu Erziehung. Weil er bei seinen Kindern blieb. Er ist mir heute Beispiel und Mentor.

Ein eindrucksvoller Charakter. Ist die Türkei immer noch das einzige muslimische Land, in dem Sie spielen können?

Ja. Technisch gesehen könnten wir auch in Jordanien oder Ägypten spielen. Aber es wäre sehr gefährlich für uns. Die Metal-Szene in diesen Ländern ist faktisch verboten. Und eine israelische Band wäre in diesen Ländern definitiv in Gefahr. Die Türkei hingegen ist ein wirklich beeindruckendes Beispiel für eine muslimische, demokratische Republik. Ich habe jetzt mehr als 30 mal in der Türkei gespielt. Die Türkei ist definitiv meine zweite Heimat. Ich liebe dieses Land sehr und ich hoffe, dass Länder wie Syrien, Irak, Jordanien oder Ägypten von der Türkei lernen, weil ich dann in der Lage wäre, auch dort Freunde zu gewinnen.

Sie haben sich auch um die türkische Staatsangehörigkeit bemüht.

Ja, wir haben uns darum beworben und es sah auch ganz gut aus. Es endete damit, dass Erdogan uns die Staatsangehörigkeit nicht geben wollte. Ich weiß nicht warum. Ich denke wirklich, dass es phantastisch gewesen wäre, Israelis und Türken und damit die Bürger eines jüdischen und eines muslimischen Staates zu sein. Wir hätten die arabische Welt als Türken bereisen können. Wir haben jedenfalls diese Staatsbürgerschaft nie bekommen und das finde ich wirklich traurig. Wir brauchen andere Pässe (lacht).

Vielleicht deutsche? Es gibt ja auch eine spezielle Beziehung zwischen Israel und Deutschland.

Wir singen darüber nicht in unseren Liedern. Ich habe sehr oft in Deutschland gespielt, unser Plattenlabel ist deutsch und wir haben in den nächsten Monaten einige Konzerte bei euch. Viele Israelis leben heute in Berlin und das ist großartig. Das gibt mir Hoffnung: zu sehen, dass Völker auch Probleme überwinden können. Ich bin stolz auf die Freundschaft beider Völker.

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